Warum ich kein Anti-Zionist bin...
Der folgende Beitrag wurde uns zugesandt, ist also keiner von "uns selber", da er uns aber als Diskussionsbeitrag geeignet scheint, drucken wir ihn ungekürzt hier ab. Im Anschluß daran folgt dann eine Antwort auf diesen Artikel von einem RAWler.
Zunächst möchte ich betonen, daß dieser Diskussionsbeitrag ein Gastartikel ist, der meine persönliche Meinung wiedergibt, und keineswegs den Gruppenstandpunkt repräsentiert. Ich bin weder regelmäßiger Plenumsbesucher, noch kenne ich den genauen bzw. aktuellen Standpunkt der Rosa Antifa zu diesem Thema. Ich bin aber begeisterter "InTeam" Leser und sehe mich als Anhänger, begeisterter Sympathisant oder schlicht und einfach als "Fan" dieser meiner Ansicht nach kongenialen Gruppe. (Das steht wirklich so im Original, Anm. RAW)
Jedenfalls leiste ich derzeit meinen Gedenkdienst (Zivilersatzdienst) im jüdischen Museum in Vilnius, Litauen. Vilnius war vor dem zweiten Weltkrieg geistiges Zentrum des gesamten osteuropäischen Judentums. Meine ArbeitskollegInnen sind hauptsächlich Überlebende, zum größten Teil ehemalige GhettopartisanInnen, also Menschen, von denen man ziemlich viel lernen kann.
Um gleich Mißverständnissen vorzubeugen: Hier verstehen sich fast alle Juden als ethnische Gruppe, und nicht als Religionsgemeinschaft, (was mich anfangs sehr verwundert hat), so sind z.B. eigentlich alle meine KollegInnen entweder gar nicht oder wenn dann sehr säkularisiert religiös. Wobei ich betonen möchte, daß sich die Jüdinnen hier nicht deswegen als ethnische Gruppe verstehen, weil sie von den Nazis als solche verfolgt und ermordet wurden, sondern man verstand sich auch vor dem Krieg, und das ist einer der wesentlichen Unterschiede zwischen dem Judentum in Ost und Westeuropa, als solche.
So gab es hier in Vilnius eine blühende jüdische Kultur, Vilnius war Zentrum der Jiddischen Literatur, jüdischen Wissenschaft und Kunst und wichtiges Zentrum für die jüdischen politischen Bewegungen.
Warum ich diesen Artikel schreibe?
Weil ich aufgrund von diversen Diskussionen und Ereignissen, die sich anscheinend in letzter Zeit ereignet haben, zum Schluß gekommen bin, daß diverse Leute, die sich selbst als "links" oder "kommunistisch" bezeichnen entweder keine Ahnung haben, wovon sie reden, oder schlicht und einfach antisemitische Meinungen vertreten. Da der Begriff "AntiZionismus" oft schlichtweg dazu dient, antisemitischen Standpunkten einen "politisch korrekten" Anstrich zu geben, werde ich nun, zusammen mit einem kurzen Überblick über die jüdische Geschichte vor allem in Osteuropa, begründen warum ich KEIN Anti-Zionist bin.
Genug der Einleitung, auf zum Hauptteil!
Ich will gleich bei der Geschichte vor allem der politischen Bewegungen fortsetzen:
Während des letzten Jahrhunderts, formierten sich innerhalb der jüdischen Bevölkerung zwei große Bewegungen: die Bundisten und die Zionisten. Die Zionisten waren der Meinung, daß nur im "gelobten Land" d.h. in Palästina jüdisches Leben möglich sei. Innerhalb dieser Bewegung gab es ein breites politisches Spektrum, von fanatischen religiösen Leuten über Sozialisten bis hin zu den Kommunisten. Alle erhofften sich in dem "neuen, freien Land" eine Zukunft ohne Verfolgung, Pogrome und Massenmorde, die das jüdische Leben in Europa seit jeher begleiteten, führen zu können.
Seit dem ausgehenden Mittelalter wurden Juden für alles mögliche verantwortlich gemacht: Die Pest, Pakt mit dem Teufel, Wirtschaftskrisen, bis hin zur Weltverschwörung, die das gesamte Abendland in den Abgrund reißen sollte; später waren sie selbstverständlich verantwortlich für den "Weltkommunismus" und natürlich auch für die imperialistische US-Politik.
Pogrome, Massenmorde, Vertreibungen gab es in Europa seit ca. 1350; so wurde Ende des 14. Jh. in Wien die gesamte jüdische Gemeinde (ca. 400 Menschen) ermordet, zur selben Zeit fast alle Juden aus Spanien vertrieben, und viele zur Flucht aus Deutschland gezwungen. Später standen die Lutheraner den Katholiken in puncto Antisemitismus um nichts nach - Tausende flohen während der Reformation nach Osteuropa, wo sich die Herrscher von den Zuwanderern hauptsächlich Wirtschafts und Bildungsaufschwung erhofften, und ihnen das "Privileg" zugestanden zu siedeln, Handel zu treiben und ihre Religion auszuüben.
Doch auch im Osten war man permanent abhängig von der Laune der Herrschenden und der Stimmung in der nicht-jüdischen Bevölkerung.
Am Beginn des 19. Jhdt. begann sich auch im Judentum auf breiter Front aufklärerisches Gedankengut durchzusetzen. Es gab immer mehr JüdInnen (vor allem in Westeuropa) die sich als BürgerInnen des jeweiligen Landes mit jüdischer Religion fühlten, und einige traten, als letzten Schritt der Assimilation sogar zum Christentum über. In Osteuropa begann zwar auch die Säkularisierung, hier wehrte man sich aber viel mehr gegen die Assimilierung, und begann auf breiter Ebene mit dem Aufbau einer säkularisierten jüdischen Kultur, deren Sprache hauptsächlich Jiddisch war.
Diese unterschiedliche Entwicklung in Ost und West führte oft zu heftigen Spannungen innerhalb der JüdInnen in Europa. Auch heute noch definieren sich JüdInnen in Osteuropa eher als ethnische Gruppe und im Westen eher als Religionsgemeinschaft.
Nach diesem kurzen Ausflug in die jüdische Geschichte wieder zurück zu den politischen Bewegungen des letzten Jahrhunderts.
Während also ein Teil der JüdInnen nur an eine Zukunft in Palästina glaubte (in welchem Gesellschaftssystem auch immer), organisierten sie, hauptsächlich die jüdischen ArbeiterInnen, sich bei den Bundisten, einer revolutionär sozialistischen Bewegung, die sich als jüdischer Teil der internationalsozialistischen Bewegung verstand. Diese Gruppe war explizit anti-zionistisch, und sah die jüdische Bevölkerung am besten in einer sozialistischen Gesellschaft aufgehoben. Natürlich wollten viele Juden nicht nach Palästina auswandern, sondern in ihrer jeweiligen Heimat eine freie und gerechte Gesellschaft aufbauen. Die Bundisten waren in Rußland zu Zeiten des Zaren aktiv, und wurden, wie alle anderen SozialistInnen, vom zaristischen Regime blutig bekämpft. Nach der Revolution wurden sie gemeinsam mit Menschewiken, Anarchisten und anderen Linken verfolgt, und schließlich unter Stalin interniert, und oft ermordet.
So gab es im Judentum zwei "Hauptgruppen": Die Zionisten, die eine jüdische Zukunft nur in Palästina sahen, und die anti-zionistischen Bundisten, die an eine Zukunft in einem sozialistischen Europa glaubten.
Bereits vor dem zweiten Weltkrieg haben sich die europäischen Länder (Ost+West) zusammengesetzt, um über das "Judenproblem" zu "diskutieren". Die Lösung auf die man kam? - Madagaskar (!) - Man zog ernsthaft in Erwägung, die Jüdinnen Europas nach Madagaskar zwangsumzusiedeln - kein Wunder, daß bei solch antisemitischer Grundhaltung fast aller Staaten, während dem zweiten Weltkrieg vielen vom Tod Bedrohten die Einreise verweigert wurde. (So nahm Shanghai genau so viele JüdInnen auf, wie alle westlichen Staaten zusammen !!).
Während des zweiten Weltkriegs wurden mehr als 80% der osteuropäischen JüdInnen ausgerottet, auch ein Großteil der meist assimilierten JüdInnen des Westens wurden aufgrund des nationalsozialistischen Rassenwahns umgebracht.
Auch nach dem Krieg gab es noch Pogrome gegen JüdInnen, das letzte in Polen in den Fünfzigern, auch in Österreich wurden noch 1947 JüdInnen gezielt angegriffen. So war für die Überlebenden klar: In Deutschland und anderen antisemitischen Ländern kann es keine Zukunft geben, die einzige Hoffnung: Palästina. Also begannen Ende der 40iger Tausende von Flüchtlingen aus Europa, gegen den Widerstand der englischen Kolonialmacht, in Palästina einzuwandern um ein neues, freies Land - Israel - zu gründen. Von Anfang an gab es massive Konflikte mit den PalästinenserInnen, obwohl viele prominente Israelis, vor allem Anhänger der Kibbuz Bewegung (Kibbuz=sozialistische Kommune, von denen es auch heute noch viele gibt), sich von Anfang an für israelisch-arabische Freundschaft einsetzten.
Doch nun kam Großmachtpolitik ins Spiel: Während sich die USA immer mehr als Schutzmacht der Israelis aufspielte, stellte sich die Sowjetunion auf die Seite der arabischen Nachbarstaaten. Und hier beginnt meiner Ansicht nach das Dilemma der Linken...
Ein kleiner Exkurs in die Sowjetunion...
Stalin begann 1947 seine Kampagne gegen "wurzellose Kosmopoliten und Zionisten", der nicht nur zahlreiche Linke zum Opfer fielen, sondern in deren Zuge sämtliches jüdisches Leben, als Machwerk des "internationalen Zionismus" verboten wurde. Schon vorher wurden einige Holocaust-Überlebende (!) als Kollaborateure (!) zur Zwangsarbeit nach Sibirien verurteilt; nach 1947 wurde jüdisches Leben generell verboten. Alle Museen, die an Kultur und Holocaust erinnern sollten, wurden geschlossen, jede auch noch so kleine Kulturveranstaltung (z.B. Liederabende) als "zionistisch" verboten, Grabsteine von Friedhöfen, die die Nazis geschändet hatten, als "Ziegel" für Sowjetbauten verwendet etc. Da ein Bolschewist natürlich nicht zugeben kann Antisemit zu sein zauberte Stalin schlicht und einfach das Wort "Anti-Zionismus" aus dem Hut, und begründete auf absolut abstruse Weise sein antisemitisches Handeln mit "internationalistischen", pseudo-fortschrittlichen Scheinargumenten.
Und was hat Zarenzeit, Bolschewismus und 1989 überlebt, hier jeden Tag in vielen Zeitungen zu lesen -natürlich der Antisemitismus. Nur in Litauen sind die Juden halt die KGB??ler gewesen, in Rußland sind sie halt die Kapitalisten, die die Sowjetunion zerstörten...
So nun wieder zur Vergangenheit....
Es gab sogar Kibbuzgemeinschaften, die in das "Paradies auf Erden" - die Sowjetunion - gingen um beim Aufbau des Sozialismus zu helfen - sie alle bezahlten ihren Idealismus mit dem Leben...
Jedenfalls unterstützte die Sowjetunion die Arabischen Staaten während der Kriege gegen Israel und die USA die Israelis.
Die Westeuropäische Linke machte es sich wie so oft sehr einfach; sie stellte sich bedingungslos auf die Seite der PalästinenserInnen und der arabischen Anrainerstaaten, und übernahm oft unreflektiert die Meinung des sowjetischen Regimes. (Araber= gut, plötzlich waren Emirs aufrechte Revolutionäre; Israelis=böse, plötzlich waren Kibbuzims Reaktionäre; ein bißchen einfach, oder ?)
Erst nachdem ein Mitglied der Revolutionären Zellen von einer Palästinenser Gruppe ermordet wurde, begannen einige ihren Standpunkt etwas differenzierter zu sehen.
Damit jetzt niemand glaubt, ich drehe einfach gut und böse um, und mache es mir genauso einfach, möchte ich bekräftigen, daß ich weder mit der israelischen Siedlungs-Politik einverstanden bin, noch die palästinensische Befreiungsbewegung als ganzes als antisemitisch, konterrevolutionär usw. abtun möchte.
Was mir aber sehr wohl ein Anliegen ist, ist diesen Mythos der aufrechten revolutionären Araber die gegen die zionistischen Imperialisten heldenhaft gekämpft haben, und immer noch kämpfen, richtig zu stellen, bzw. die ganze Problematik einmal von der anderen Seite zu beleuchten.
Meiner Ansicht nach hätte man eher die israelische und arabische Opposition unterstützten sollen, die sich schon immer für eine friedliche Koexistenz von Arabern und Israelis einsetzte. Ich stelle mich auch hinter das Friedensabkommen das gerade in Verhandlung ist, nicht weil ich überzeugt bin, daß es 100%-ig gerecht ist, sondern weil die meisten Menschen, Araber wie Israelis, nur eines wollen - endlich Frieden! Meiner Ansicht nach wäre die beste Lösung wenn Israelis und Araber gemeinsam mit dem Aufbau einer freien und sozialistischen Gesellschaft beginnen würden - Menschen die das wollen, gibt es, glaube ich, mehr als bei uns, also warum nicht fortschrittliche Geister unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit unterstützen ?
Nun genug der Geschichte - auf zur Gegenwart:
Warum ich kein Anti-Zionist bin?
Hat eigentlich schon jemand nachgedacht, was dieser Begriff in der Gegenwart in letzter Konsequenz bedeutet? Anti-Zionist heißt, daß jemand gegen jüdisches Leben in Palästina ist - das heißt Israel, die Menschen, die dort leben, vertreiben, ins Meer werfen, zwangsumsiedeln? Anti-Zionist hat vor der Gründung Israels bedeutet, gegen die Einwanderung der JüdInnen in Palästina zu sein - heute heißt es in letzter Konsequenz für deren Vertreibung zu sein...
Anti-Zionismus ist für mich ein Synonym für Antisemitismus, nur klingt es "politisch korrekter". Selbst wenn man, wie ich, massiv gegen die oft unmenschliche Siedlungspolitik oder andere Mißstände in Israel ist, kann man sich meiner Meinung nach nicht als "Anti-Zionist" bezeichnen. Fortschrittliche Kritik an jedem Land, an jedem System, auch an Israel, ist, glaube ich, der richtige Ausdruck.
Also nochmals kurz: Zionisten sind Menschen, die jüdisches Leben nur in Palästina für möglich halten (was angesichts der jüdischen Geschichte in Europa, meiner Ansicht nach nicht gerade unverständlich ist), Anti-Zionisten wollen das beenden bzw. zerstören - Und für Vertreibung, Zwangsumsiedlung etc. sollte sich wohl kein linker oder fortschrittlich denkender Mensch einsetzen.
Und wenn ich mir so diverse "linke" Sektierergruppen anschaue, die vom revolutionären Islam schwafeln, JüdInnen, die in der Linken arbeiten, als "Zionistenfront" verunglimpfen, Israel mit Nazi-Deutschland vergleichen, und manchmal sogar mit der "Hisbollah" sympathisieren, dann bestärkt mich das in der Meinung, daß sich freie, antiautoritäre Revolutionäre endgültig von diesem Begriff, einem Relikt aus der Ära Stalins, verabschieden sollten, um sich wohltuend von diversen "Wohnseniggen" abzuheben.