Schwule Wüste? Eine Spurensuche in Ägypten

MancheR EuropäerIn wird erstaunt sein, wenn er/sie bei einer Reise nach Ägypten immer wieder händchenhaltende Männer oder Frauen antrifft. Manch Neuling in der arabischen Welt wird sich hier vielleicht fast schon versucht sehen, das Land am Nil als Lesben- oder Schwulenparadies wahrzunehmen.

Die Wirklichkeit sieht jedoch anders aus. Händchenhaltende Männer sind im Mittleren Osten kein Zeichen für die Homosexualität der beiden, sondern schlicht für einen körperbetonteren Umgang miteinander, allerdings nur innerhalb des eigenen Geschlechtes. Die strikte Geschlechtertrennung, vor allem in den Städten des Niltals, schließt meist selbst verbale Kontakte zwischen den Geschlechtern aus, sofern es sich nicht um enge Familienangehörige handelt.

Händchenhalten unter Männern oder unter Frauen sagt in Ägypten, Palästina oder Syrien noch gar nichts über das Sexualleben der Beteiligten aus.

Gesellschaftlich verpönt

Homosexualität ist in der Ägyptischen Gesellschaft genauso verpönt wie sie es lange Zeit in Europa war, und wie sie es etwa in Österreich auf dem Land oder auch außerhalb einer gewissen Szene in Wien immer noch ist. Obwohl die gesetzliche Lage in Ägypten verglichen mit vielen anderen Staaten der Region noch relativ tolerant ist, ist es in ägyptischen JuristInnenkreisen ein offenes Geheimnis, daß Lesben oder Schwule der Willkür ihrer Familien völlig ausgeliefert sind. Noch immer kommt es häufig vor, daß Jugendliche deren Familie ihre Homosexualität entdeckt von der Familie ermordet werden, und der Staat diese Tat dann kaum oder gar nicht verfolgt.

Gerade Männer sind meist extrem homophob und verwenden - wie eben auch bei uns - das Wort "Schwuler" immer wieder als besonders schlimmes Schimpfwort. Kaum einer der etwas toleranter ist wagt es in diesem gesellschaftlichen Klima überhaupt nur für Toleranz gegenüber Schwulen oder Lesben zu werben.

So ist es kein Wunder, daß selbst Männer die im trauten Zwiegespräch mit einem Europäer beginnen über ihre sexuellen Erlebnisse mit Männern zu sprechen, sofort den Verdacht von sich weisen "gay" zu sein. So erklärte mir ein ägyptischer Mann er würde "only for fun" mit Männern schlafen, und natürlich würden ihm Frauen auch gefallen. Schwul zu sein wird von fast allen ÄgypterInnen mit Transvestiten oder zumindest "weibischen" Männern in Verbindung gebracht. Und das will in einer patriarchalen Welt natürlich niemand sein. Selbst wenn Mann mit Männern ins Bett geht, muß Mann immer noch "ein richtiger Mann" sei.

Keine organisierte Szene

Organisierte, legal arbeitende Schwulen- oder Lesbenverbände gibt es unter diesen Umständen im Lande nicht. Nur eine internationale "Arab Lesbian and Gay Association" mit Sitz in den Vereinigten Staaten kümmert sich auch um die Rechte lesbischer und schwuler Menschen in Ägypten.

Informelle Schwulenlokale gibt es in einigen internationalen Hotels in Kairo und vielleicht noch in Alexandria, aber in keiner anderen Stadt des Landes am Nil.

Schwulenkultur in Siwa

Dabei gibt es in einer Oase im äußersten Westen Ägyptens eine lange Tradition einer ausgeprägten Schwulenkultur.

Die legendäre Oase Siwa nahe der libyschen Grenze - bereits während der Antike für sein Orakel berühmt zu dem Alexander der Große und andere wichtige Männer seiner Zeit pilgerten - hat in ihrer Abgeschiedenheit nicht nur ihre eigene Sprache - eine Berbersprache aus dem Maghreb - bewahrt, sondern auch eine ganze Reihe eigener kultureller Entwicklungen genommen.

Die heute für den Tourismus erschlossene - und von diesem bereits vielfach zerstörte - Oase war lange einer der abgeschiedensten Orte der Welt, der nur durch tagelange Kamelreisen durch die libysche Wüste zu erreichen war.

In dieser Abgeschiedenheit entwickelte sich ein Umgang mit männlicher Homosexualität, der der Oase heute noch im restlichen Ägypten einen schlechten Ruf einbringt.

Das hohe Heiratsalter der Zaggalah - unverheiratete Männer - die als Landarbeiter den Sheichs dienten - und die extreme Abgeschirmtheit der Frauen - die Zaggalah durften z.B. nicht einmal innerhalb der Stadtmauern übernachten - führten dazu, daß sich diese unverheirateten Männer jahrelang primär mit sich selbst zu beschäftigen hatten.

Bei den Gartenpartys, die diese Zaggalah in den riesigen Palmgärten der Oase feierten, wurde Unmengen an labgi - eine Art Palmwein - getrunken und stundenlang zu Trommel- und Flötenmusik mit Gesang getanzt. Oft entwickelten sich daraus regelrechte Orgien unter den Männern.

Aber auch langfristige sexuelle Partnerschaften zwischen zwei Zaggalah entwickelten sich häufig, und wurden immer wieder mit schriftlichen Eheverträgen und feierlichen Hochzeiten besiegelt.

Der Nationalstaat brachte das Ende

Mit der Eingliederung Siwas in den modernen ägyptischen Nationalstaat unter Muhammed Ali - der 1820 mit seiner Armee in Siwa einmarschierte - begannen die Versuche dieses Nationalstaates dieser besonderen Kultur männlicher Homosexualität ein Ende zu setzen.

Aber erst der Einfluß des Senussi-Ordens, der Siwa zu einem seiner Zentren ausbaute, und die ständige Militär- und Polizeipräsenz in Siwa konnten die "Schwulenehen" und die Partys der Zaggalah weitgehend in den Untergrund drängen. Im Geheimen sollen schriftliche Ehevertäge zwischen Männern aber sogar noch bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts existiert haben.

Ethnologische und historische Arbeiten über Siwa, die auch die Schwulenkultur der Zaggalah beschrieben, bringen den Oasen in den letzten Jahre neben anderen seltsamen "Alternativtouristen" auch einen bescheidenen Schwulentourismus. Und so manch einer soll dabei immer noch zu seinen sexuellen Erlebnissen mit Männern aus Siwa gekommen sein.

{spok}