Schwarzfahren in Vilnius - und andere litauische Anekdoten
Daß Schwarzfahren nicht immer mit unglaublichem Streß und hohen Kosten verbunden sein muß, zeigt das Beispiel Vilnius (Litauen). Hier sind Schwarzkappler eben noch einfache und ehrliche Menschen und keine verblödeten Kampfhunde im Ramboverschnitt.
Trotzdem haben sie es manchmal schwer.....
Zunächst die alltägliche Situation: Eine ältere Frau oder ein älterer Mann steigt in den Trolleybus ein und zeigt ein ausgefülltes Formular vor, das zur Kontrolle der Fahrscheine und zum Eintreiben der umgerechnet 60 ÖS Strafe berechtigt. Nun, das klingt ja noch ganz "österreichisch". Doch dann zückt dieser meistens an seinem schüchternen Unschuldsgesicht zu erkennende Mensch eine Tasche mit Fahrscheinen, und bittet freundlich all die, die nicht bei seinem Anblick ihre Fahrkarte schnell in den Entwerter gesteckt haben, sich bei ihm um umgerechnet 2,10 ÖS einen Fahrschein zu kaufen, oder den "Mitgebrachten" zu entwerten. Bereitwillig und höflich hilft er älteren und kleineren Menschen, die nicht so schnell zum Entwerter im immer überfüllten Trolleybus vorstoßen können, beim Fahrkartenentwerten...
Einmal kam ein nichts-wissender junger Wiener nach Vilnius, und vergaß sich einen Fahrschein zu kaufen, als sich ihm ein Kontrolleur näherte, und der Junge ordentlich zu schwitzen begann (In einem fremden Land, ohne Fahrschein, das kann ja heiter werden). Freundlich hielt ihm der Kontrolleur einen Fahrschein hin, lächelte ihn an, und sagte irgendwas auf Litauisch und dann auf Russisch. Doch leider war unser armer Wiener dieser beider Sprachen nicht mächtig, und so lächelte er zurück, und streckte dem Kontrolleur 80 Cents hin. Der Schwarzkappler war so beeindruckt von der schüchternen Freundlichkeit des armen Touristen, daß er ihm zwei Fahrscheine in die Hand drückte, wobei er nur einen entwertete. Ja liebe Leute auch so was gibts auf dieser Welt:
Für freundliches Verhalten gegenüber Schwarzkapplern kriegt man einen Fahrschein geschenkt - Was für eine Wohltat!!!! Hier könnten unsere "Schworzen" mal herkommen, und ein Seminar zum Thema "Wie benehme ich mich gegenüber nicht gleich zahlenden Fahrgästen" oder "höflich und ehrlich zu unseren Kunden" oder "Wie sorge ich für die Zufriedeheit aller Fahrgäste" besuchen - das würde diesen (hier kann jeder seine eigenen Beschimpfungsorgien einfügen) echt guttun.
Und dennoch gab es einmal folgende Geschichte...
Ein Schwarzkappler will einen Typen, der keinen Fahrschein kaufen kann, weil er kein Geld hat, aus dem Trolleybus werfen, daraufhin beginnt der ganze vordere Teil des Busses mit ihm zu streiten und zu diskutieren, "der ist doch ein armer Teufel, der sich keinen Fahrschein kaufen kann, den können sie doch nicht rausschmeißen usw." und das Resultat: Der Schwarzkappler wurde von einer überwiegend aus PensionistInnen bestehenden Meute aus dem Bus geworfen... DAS ist Solidarität, liebe Leute im Spießerland!!!
Überhaupt ist der Spießervirus hier nicht wirklich vorhanden, obwohl es schon Gerüchte gibt, daß er aus dem Westen allmählich eingeschleppt wird... So habe ich einmal ein ziemlich großes Fest gemacht, das bis um 5 Uhr in der Früh dauerte, mit viel gutem Vodka und allen anderen Ingredenzien (gute laute Musik, viel totes Tier zu Essen, und natürlich viele coole Leute), die ein Fest so richtig leiwand machen.
Am nächsten Tag in der Früh haben wir uns unserer PensionistInnennachbarn erinnert, die wahrscheinlich die ganze Nacht nicht viel geschlafen haben, und wollten ihnen eine Schachtel Pralinen (das können sich hier die PensionistInnen oft nicht leisten) schenken. Das Resultat war, daß sie sich zwar unheimlich über die Pralinen gefreut haben, sie aber nur als "gutes Nachbarschaftsgeschenk" akzeptieren wollten, und nicht weil wir die ganze Nacht gefeiert haben, denn "Ihr seits ja jung, da muß man ja feiern, das ist ja selbstverständlich..." Ja, liebe Polizei-ruferInnen, die einem die Bullen sogar in den Wienerwald hinterherhetzen - DAS ist die richtige Einstellung zu feiernden Menschen !!!
Selbst die bürgerlichen Medien heben sich hier wohltuend von diversen kleinformatigen Schmierheftchen ab. So erschien letztens in einer konservativen (!!) Zeitung eine zweiteilige Artikelserie, in der Christiania (ein anarchisch/hippiemäßiger Freistaat in Kopenhagen/Dänemark) so in den Himmel gelobt wird, daß jeder Lesende am liebsten sofort ins "gelobte Christiana" fahren wuerde.
Um Dauergast im Fernsehen zu sein reicht es, der älteste Heavy Metal Fan in Vilnius zu sein, oder den auffälligsten Iro zu haben...
Tja liebe Damen und Herrn von ORF und Krone - hier wird wenigstens noch über interessante Menschen und Plätze berichtet, da könntet ihr Euch mit Euren faden Dumpfbacken- (ihr nennt sie "Experten-") Runden einiges abschauen.
Auch Naivität hat ihre Grenzen...
Laut der letzten Umfrage in der grössten Tageszeitung des Landes, vertrauen in Litauen 12% den Politikern, 22% ihrer Regierung und ganze 23% der Polizei- die oft grenzenlose Naivität unserer StaatsbürgerInnen teilen die LitauerInnen anscheinend nicht...
Oft ist es für PensionistInnen unmöglich, mit ihrer aus umgerechnet 1200 ÖS bestehenden Pension zu leben - doch einige wissen trotzdem wie: In Weißrussland (Nachbarstaat) belaufen sich die Lebenskosten auf umgerechnet 100 ÖS pro Monat (!), was einige PensionistInnen bewegt, sich dort für ein halbes Jahr (meistens im Winter) niederzulassen, und nur die andere Hälfte des Jahres in Vilnius zu verbringen. Unlängst hat ein Pensionist einer Zeitung folgendes Interview gegeben: "Alle intelligenten Leute machen das, mit unserer Mini-Pension, leben wir drüben (Weißrussland) wie der Zar - das ist ein echt tolles Leben; außerdem kann man sich mit Vodka-Schmuggeln noch einiges dazu verdienen. Einmal wurde ich mit einer Flasche zuviel Vodka vom Zöllner erwischt. Der hat mir gesagt, daß ich sie sofort abgeben muß. Ich habe mich jedoch geweigert, und die Flasche auf der Stelle ausgetrunken. Ich weiß zwar nicht mehr, wie ich nach Vilnius gekommen bin, aber bevor ich einem Zöllner eine Flasche Vodka schenke..."
Es gibt zwar auch einige nicht so tolle Sachen hier (Löhne, Ausbeutung, Arbeitsbedingungen etc.), aber davon berichte ich ein andermal....
Bis bald