Rassismus tötet!
Am 1. Mai 1999 wurde der 25-jährige Marcus Omofuma ermordet. Er wurde bei seiner Abschiebung von den drei ihn begleitenden Polizisten gefesselt, und sein Mund und teilweise auch die Nase mit einem Klebeband verschlossen. Marcus ist erstickt.
Wir sind traurig und wütend, und das Wissen, daß die Ermordung von Marcus kein Ausnahmefall ist, macht es noch schlimmer. Der Mord ist der Gipfel einer rassistischen Kontinuität! "Rassistische Kontinuität" ist für viele nur ein Wörtchen, für andere bittere, lebensbedrohende Realität, und drückt wahrscheinlich nicht einmal einen Bruchteil davon aus, was Menschen durchmachen müssen, die der jahrelangen rassistischen Hetze in den Medien, den dauernden Polizeiübergriffen, Schikanen im "normalen" Leben, erniedrigenden Kontrollen, und noch vielem mehr ausgesetzt sind. Kaum wer von uns weiß, gut-situiert, "legal" wie wir leben, was es heißt, bei einer Fahrzeugkontrolle die Pistole an den Kopf gehalten zu kriegen, und/oder dabei krankenhausreif geprügelt zu werden, aus der U-Bahn gezerrt, oder auf der Straße durch ständige Kontrollen und Verdächtigungen gedemütigt zu werden, weil mensch nicht "österreichisch" genug aussieht, vor allem wenn mensch "schwarze" Hautfarbe hat, oder "illegal" ist. Und noch weniger wissen wir, wie es ist mit der konkreten Angst zu leben, von PolizistInnen auf Polizeistationen gefoltert, vergewaltigt oder ermordet zu werden. Wir hätten zumindest noch die kleine Chance unsere PeinigerInnen anzuzeigen, aber Menschen, die den Verfolgungen ausgesetzt sind, haben keinerlei Chance sich zu wehren, selbst wenn sie das "Glück" haben die österreichische Staatsbürgerschaft zu besitzen. Ihren Aussagen wird kein Glaube geschenkt, ihre Zeugen werden eingeschüchtert oder auch als ungaubwürdig hingestellt, oder noch bevor es zu einem Prozess gegen die Polizei kommt, von der Polizei angezeigt! Die Opfer werden zu TäterInnen gemacht und wegen "Widerstand gegen die StaatsGEWALT" oder ähnlichem verurteilt! Bei den rassistischen RichterInnen kein Wunder: O-Ton einer Richterin "sagen??s ruhig Bimbo dann tun ma?? uns alle leichter...".
Rassistische Übergriffe durch die Polizei gegen Menschen mit "schwarzer" Hautfarbe sind in den letzten Jahren verstärkt an die Öffentlichkeit gelangt, nicht weil es sie vorher nicht gegeben hätte, sondern weil die PolizistInnen immer unvorsichtiger geworden sind. Was eigentlich nicht weiter verwunderlich ist, denn durch die jahrelange Medienhetze a la Schwarzafrikaner=Drogendealer, Rumäne=Panzerknacker, den strafrechtlichen Nicht-Konsequenzen gegen PolizistInnen, den menschenverachtenden "Asyl"gesetzen wurden praktisch alle die "illegal" oder "schwarz" sind für VOGELFREI erklärt! Die Jagd hatte schon längst begonnen, und der Mord an Marcus war weder "ein bedauerlicher Unfall(!)" noch ein "Ausrutscher" einzelner PolizistInnen, wie sich die PolitikerInnen zu versichern bemühten.
...und alle sagen, sie hätten von nichts gewußt...
"Von so einer Abschiebepraxis weiß ich nichts ..." bemüht sich Innenminister Schlögl (SPÖ) zu versichern, obwohl schon sein Vorgänger Löschnak eingestehen mußte, daß Fesselungen und Knebelungen bei Abschiebungen Praxis sind, und jetzt ein Spitzenbeamter angegeben hat, daß höchste Beamte davon gewußt haben mußten!. Aber das ist doch sowieso nur eine Pseudo-Diskussion, in Wirklichkeit ist es doch genauso, wie beim Arbeiterkammer- oder Baufirmenabsprachenskandal: Jeder weiß, das es solche Praktiken gibt, aber kaum wird es wirklich publik, tun alle so als hätten sie noch nie etwas davon gehört.
Der Generaldirektor der öffentlichen Sicherheit, Sika, beweist sein Gespür für die österreichische Seele, und weiß mit rassistischen Aussagen zu glänzen: "wer weiß, mit welcher Körperkraft DIE (gemeint sind Schwarzafrikaner, Anm. d. Red.) sich wehren ist mit seiner Kritik (über die Fesselung und Knebelung, Anm.) vorsichtig..." - Und so wurde allen klar gemacht, daß Marcus an seiner Ermordung selber Schuld war, denn wenn sich ein Schubhäftling gegen seine Abschiebung wehrt, dann ist fesseln und knebeln offensichtlich gerechtfertigt. Das solchen Praktiken eigentlich unter den Begriff Folter fallen, ist anscheinend bisher kaum jemanden aufgefallen. Und ausserdem, natürlich wehrt sich ein Mensch der wieder in das Land zurückgeschoben wird, aus dem er, unter meist lebensgefährlichen Bedingungen, geflüchtet ist - wenn er/sie seine/ihre Abschiebung in den Tod, Krieg, Vergewaltigung, Folter, Hunger, Armut... erwartet - er/sie hat nichts mehr zu verlieren.
"So tobte der Schubhäftling" titelte die Kronenzeitung (siehe Faksimile, nur in der gedruckten Ausgabe) in vorrauseilendem Gehorsam mit einem Bild des toten Marcus auf dem Cover, das sicherlich nicht zufällig den Eindruck erweckte ein Fahndungsphoto zu sein. Seinen Zweck zu Rechtfertigung der Ermordung hat dieses Cover zweifellos erfüllt. Da nutzt es auch nichts, daß ZeugInnenaussagen belegen, daß Marcus sich überhaupt nicht gewehrt hat. Und selbst wenn er dies hätte: jeder Mensch muß die Freiheit haben, sein Leben verteidigen zu können! Aber Grundrechte und Wahrheit sind nicht unbedingt die Sache der (relativ zur EinwohnerInnenzahl) größten Zeitung der Welt.
Und die Konsequenzen?
Keine, nicht für die Mörder und schon gar nicht für ihre Chefs, die all das ermöglichten! Wo in Belgien der Innenminister nach dem Mord an Semira Adamu zurücktreten mußte, und den Polizisten der Prozeß gemacht wurde, da läuft in Österreich eine Unterstützungskampagne für Schlögl und Co. an: Die Polizisten wurden erst nach einigen Wochen und einem ekelhaften hin und her suspendiert, und auch dann nicht von der zuständigen Disziplinarkommission, die sie im Amt lassen wollte, sondern Innenminister Schlögl nutzte diese Situation medienwirksam, um sein Westchen weiß zu waschen (für die Liberalen), ohne das hohe politisches Ansehen (bei den Rechten) zu verlieren, und verzichtete seinerseits auf den Dienst der drei Beamten.
Die leisen Rücktrittsforderungen an Schlögl und Sika verhallten von Anfang an im Gebrüll der Unterstützungserklärungen und der verstärkten rassistischen Hetze: O-Ton von SP-Funktionären an die querulierenden Jugendorganisationen VSSTÖ und SJ, die den Rücktritt Schlögls forderten: "Wegen an tod??n Nega tritt ka SPler z??ruck!". Die Stimme des Volkes spricht: "...der ist ja eh wahrscheinlich an einem Koks-Kondom erstickt...!" und da zeigt sich ganz klar: Die jahrelange rassistische Hetze der Medien hat Früchte getragen, die erzeugte Assoziation "Schwarze sind Drogendealer" hat sich stärker als je zuvor in den Köpfen festgesetzt.
Die Hetze wird verstärkt!
Wer geglaubt hat, daß nach dem Mord an Marcus die rassistischen Praktiken der Polizei, die restriktiven "Asyl"gesetze, die rassistische Medienhetze hinterfragt oder gar geändert werden, der hat sich ganz kräftig geirrt: Die Polizei wird in Schutz genommen, denn scließlich "schützt sie UNSERE Kinder vor den schwarzafrikanischen Drogendealern", es wurde verstärkt kolpotiert wie brutal und gewaltätig "Schwarze" wären, und die Mörderpolizisten hätten sich ja durch das Knebeln von Marcus nur vor AIDS geschützt!
Die Parteien diskutierten derweil munter über die Perfektionierung von Abschiebungen: Was das billigste sei, ob nicht die Verwendung eines Sturzhelmes besser wäre, da dieser die Schreie ersticken würde - dann würden sich die anderen Fahrgäste nicht so belästigt fühlen. Doch diese Idee wurde nach nicht einmal einem Monat verworfen, als in Deutschland, wo schon lange Sturzhelme bei Abschiebungen eingesetzt werden, am 28.Mai 1999 einem Sudanesen bei der Abschiebung vom deutschen Bundesgrenzschutz das Genick gebrochen wurde!
Man kam zu dem Schluß: Europäische "Sammelabschübe" sind zu teuer, das Bundesheer kann auch nicht billiger abschieben, also rollte schon die nächste Welle der Empörung an - nein nicht über diese menschenverachtende Diskussion - sondern darüber, daß Abschiebungen auch was kosten, und die AsylantInnen dabei auch noch auf Kosten der österreichischen SteuerzahlerInnen "reisen" dürfen!
Die "Ermittlungen" gegen die drei Beamten gestalteten sich währenddessen immer weiter weg von der Auffklärung hin zur Rechtfertigungsmaschinerie : Es wurde festgestellt, das Marcus unter anderem Namen und Angabe eines falschen Herkunftsland bereits in Deutschland um Asyl angesucht hatte, dies wurde natürlich als Verbrechen gewertet, welches offensichtlich als Entlastung für die drei Polizisten gesehen wurde. Aber um die Legitimität ihres Tuns zu beweisen, bedarf es wohl doch etwas "deftigerem", und so wurde verzweifelt versucht Marcus eine Verbindung zur "Drogenszene" nachzuweisen (In Deutschland fand man dann übrigens statt Drogen etwas für die staatlichen RassistInnen noch weit gefährlicheres - eine Tochter).Bei all diesen Nachforschungen drängt sich eine Frage auf: Was hat seine Herkunft, seine Identität oder sein Strafregister mit der Tat der Beamten zu tun? Es läuft wohl (oder eher übel) darauf hinaus, daß es anscheinend legitim wäre, einen "illegalen Drogendealer" zu ermorden! Ist die Todesstrafe wieder eingeführt?
Der Staat schlägt zurück!
Nach dem Mord an Marcus gab es aber auch massiven Widerstand, hauptsächlich getragen von ImmigrantInnengruppen und der (radikalen) Linken, gegen den rassistischen Konsens in Österreich und Europa. Dadurch konnte die staatliche und mediale Hetze nicht gänzlich ungestört über die Bühne laufen (siehe auch Chronologie eines Protestes unten).
Doch solche "Störungen" läßt sich dieser Staat nicht lange gefallen, und so wurde nachgedacht, und schließlich gelang dem Innenministerium mit Unterstützung von Krone und Co ein genialer Coup: Am 27. Mai in aller Frühe startete eine großangelegte Razzia - mit 900 Beamten im Einsatz - genannt "Operation Spring". Etliche Privatwohnungen und Flüchlingsheime wurden gestürmt, und über hundert Menschen verhaftet. Alle Verhafteten hatten eines gemeinsam: Sie hatten schwarze Hautfarbe und ihnen wurde unterstellt einem Drogenring anzugehören!
Bei dieser Operation ging die Polizei mit der gewohnten Brutalität vor, Irrtümer inklusive: Einmal irrten sie sich im Zimmer und prügelten auf einen Flüchtling, der sich die Decke über den Kopf gezogen hatte, solange ein, bis sie bemerkten: "Des is jo goa ka Nega!", und die Prügelorgie in ein anderes Zimmer verlegten.
Der Einsatz wurde als voller Erfolg dargestellt, darüber hinaus wurde damit der erste (erlaubte) Lauschangriff legitimiert und die Efektivität desselben gepriesen. Die sichergestellte Drogenmenge, zwei (!) Kilo Kokain, ist für so einen Einsatz lächerlich, und ließe sich bei der Geburtstagsparty von Niki Lauda sicherlich ohne weiteres ebenso finden. Ein Zusammenhang mit der Ermordung von Marcus Omofuma wurde freilich bestritten, seltsam nur, daß der Innenminister dies auf der Pressekonferenz nach der Razzia von sich aus (also ohne von ReporterInnen dazu befragt worden zu sein) meinte feststellen zu müssen. Mensch kann halt auch (und gerade) einen Zusammenhang herstellen, in dem dieser dezidiert geleugnet wird. Von den Verhafteten mußte schon bald über die Hälfte wieder freigelassen werden. DAS wurde aber alles in den Medien nur am Rande erwähnt. Hauptsache, das Bild vom schwarzen Drogendealer, dessen Tod man bei einer Abschiebung ruhig in Kauf nehmen kann, stimmte wieder, und wurde von Jörg Haider beim letzten FP-Parteitag schön auf den Punkt gebracht: "Das Risiko (gemeint ist der Tod von Marcus Omofuma, Anm.) muß man in Kauf nehmen (...), denn die Mörder unserer Kinder haben hier nichts verloren!".
Übrigens wurde die Operation Spring auch medial gut vorbereitet. Drei Tage zuvor schaltete die FPÖ (die gewöhnlich über gute Polizeikontakte verfügt) in der Kronenzeitung eine ganzseitige Anzeige: "Machtlos gegen 1000 Nigerianer" und "handeln Sie endlich, Herr Minister Schlögl". Sie wurden prompt bedient. Zufall?
Alle waren sie endlich wieder glücklich: Die Ehre des SP-Innenministers wiederhergestellt, Krone und FPÖ hetzen unverblümt weiter, die Polizei darf wieder prügeln und abschieben, und der antirassistische Widerstand wurde kriminalisiert, und damit auch teilweise gespalten: Als Beispiel sei nur die Grüne Stoisits genannt, die sich bemüßigt fühlte, sich von schwarzafrikanischen Menschen, mit denen sie sich zuvor gemeinsam gegen den Rassismus engagiert hatte, zu distanzieren, und sich sogar noch bei der Polizei zu beklagen, daß sie nicht gewarnt worden wäre, ihr hätte ja schließlich Gefahr drohen können. (wohl vom bösen schwarzen Drogenboss, s.u.)
Die politische Komponente der Operation Spring
Erstmal wurde mit dieser Aktion der antirassistische Widerstand diskreditiert. SchwarzafrikanerInnen würden sich ja bloß gegen Polizeiübergriffe wehren, um ungehindert Drogengeschäften nachgehen zu können. Weiße MenschenrechtsaktivistInnen hingegen werden als verführte IdiotInnen hingestellt, weil sie sich von der "Nigerianischen Drogenmafia" für deren Zwecke benutzen ließen. Der Gipfel der Frechheit war dabei die Behauptung, auf den antirassistischen Kundgebungen sei mit Drogen gedealt worden.
Ein tragender Aktivist des antirassistischen Widerstandes, der Schriftsteller Charles O., wurde bei der Operation ebenfalls festgenommen, und ihm wurde zusätzlich noch unterstellt, der "Kopf des Drogenringes" zu sein. Für die Konstruktion eines "Drogenbosses" reichte den Behörden folgender Satz, den Charles bei verschiedenen Telefonaten verwendet hat: "Leave business and join the demo (die direkt nach der Ermordung von Marcus O., Anm.) !" Soll heißen: "Laßt alles liegen und stehen, und geht zur Demo". Die Polizei legte das dann in ihren Pidgin-Englischkenntnissen so aus: "Laßt die Arbeit (damit soll Drogendealen gemeint sein, scheinbar haben laut Polizei NigerianerInnen keine andere Arbeit, Anm.), und geht zur Demo. Ein derart lächerliches Beweisstück, das sie mittels Lauschangriff gewonnen haben, reicht denen offenbar für dieses Kostrukt. Und etwas Geld nach Nigeria hat er überwiesen. Aha. Würden Sie Ihre/n NachbarIn verdächtigen, wenn er/sie Sie darum bittet für sie/ihn etwas auf der Bank einzuzahlen, weil er/sie (wie das bei illegalisierten Personen nun mal so ist), kein eigenes Konto hat? Eben. Aber bei SchwarzafrikanerInnen wird jede Banlität so hingedreht, daß es irgendwas mit Drogen zu tun haben könnte. So auch bei Charles O.: Daß er ein karges Leben geführt hatte, und immer mit demselben Anzug herumlief, hat für die Polizei nichts mit Geldmangel zu tun, sondern ist halt eine besonders geschickte Tarnung.
Kriminalisierung politischer Aktivitäten - so einfach geht das. Daß linker Widerstand sehr oft schon mit Drogenvorwürfen kriminalisiert worden ist, sei hier nur am Rande erwähnt. Drogen eignen sich schließlich auch hervorragend dazu, jeglichem Widerstand den politischen Charakter zu nehmen.
Wie schon oben erwähnt, konnten auch die nach dem Tod von Marcus Omofuma ausgesetzten Abschiebungen (bei denen Widerstand zu erwarten gewesen wäre), sowie Polizeikontrollen auf offener Straße und in den U-Bahnen verstärkt wieder aufgenommen werden. Stärker als je zuvor herrscht der Konsens: Schwarze sind Drogendealer. Und die Betroffenen haben wieder verstärkt Angst sich offen gegen Rassismus zu engagieren, auf ihre Rechte zu bestehen, oder oft auch nur aus dem Haus zu gehen.
Die Situation der Gefangenen
Soweit zur Zeit bekannt ist, befinden sich immer noch um die sechzig Personen in Untersuchungshaft. Von vielen sind die Namen nicht bekannt, viele hatten selbst drei Wochen nach ihrer Verhaftung noch nicht einmal eine Zahnbürste. Die Leute kennen ihre Rechte nicht, und werden aus Geldmangel von Pflichtverteidigern vertreten, die sich üblicherweise nicht sonderlich für ihre KlientInnen engagieren. Der Gipfel der Sauerei: von vier Leuten ist bekannt, daß sie von Farid Rifaat vertreten werden, der auch die drei Beamten, die Marcus Omofuma ermordet haben, vertritt. Das heißt, der Bock wurde zum Gärtner gemacht. Wie nicht anders zu erwarten kümmert sich Herr Rifaat nich sonderlich um die vier Leute. Er erscheint sehr oft nicht zu Terminen, beziehungsweise enthält er "seine" Klienten die Akten vor. Für einen der vier konnte ein anderer Anwalt, der seine Arbeit auch unentgeltlich machen würde, gefunden werden, was allerdings von der Anwaltskammer, die auch die Pflichtverteidiger aussucht, abgelehnt wurde. Einer der Gefangenen, der schon erwähnte Charles O., sitzt ebenfalls noch ein, zumindest bis zur nächsten Haftprüfung.
Die Festung EUropa
Fesseln, Knebeln, mit Polstern die Schreie ersticken, niederspritzen - das alles ist alltägliche Praxis in der Festung Europa. An den EU-Außengrenzen sind seit 1993 über 1000 Flüchtlinge ums Leben gekommen - ertrunken, erfroren, zu Tode gehetzt... - die Zahl der Abschiebungen in den Tod freilich ist unbekannt. Wen interesiert es schon wenn "Illegale" nach der Abschiebung in ihr "Heimatland" verhungern, gefoltert, vergewaltigt oder ermordet werden! Abschiebung ist Folter - Abschiebung ist Mord! Egal ob direkt oder "indirekt". Doch auch die Morde in Abschiebegefängnissen und während Abschiebungen häufen sich. Am 22. September 1998 wurde der 20-jährigen Semira Adamu während ihrer Abschiebung so lange ein Polster ins Gesicht gedrückt, bis sie erstickt war. Einem Rumänen wurde von niederländischen Beamten wie Marcus der Mund verklebt. Er überlebte und sitzt mit Hirnschaden wegen Sauerstoffmangels im Rollstuhl. Nichteinmal einen Monat nach dem Mord an Marcus wurde ein Sudanese während der Abschiebung vom deutschen Bundesgrenzschutz ermordet! Das sind nur ein paar Fälle die publik geworden sind, aber wieviele sind nicht bekannt?
Aber es geht auch anders: Immer wieder können Abschiebungen verhindert werden! Fluglinien werden unter Druck gesetzt, und viele weigern sich mittlerweile Abschiebungen durchzuführen, zumindest wenn Widerstand zu erwarten ist. Nur in Österreich schaden Abschiebungen offensichtlich noch immer nicht dem Ansehen der Fluglinien: So brüstet sich ein Herr Lauda damit, selbstverständlich weiterhin alle Abschiebungen zu fliegen, denn "die sind ja schließlich illegal hier".
Eine gute Nachricht erreichte uns aber im Mai:In der Schweiz befreiten Passagiere im Flugzeug den Abzuschiebenden, er kann nun fürs erste in der Schweiz bleiben. Ein Beispiel das Schule machen sollte...
Durchbrechen wir den rassistischen Konsens!
Kein Mensch ist illegal!
Wir fordern den Rücktritt von Schlögl, Sika und Matzka!
Weg mit allen rassistischen Gesetzen!
Freiheit für alle Schubhäftlinge!
Grenzen auf für alle!
Aufschlußreiche Zitate aus "Der Kriminalbeamte"
(offizielles Organ der Vereinigung der Bundeskriminalbeamten Österreichs)
Artikel über die "Operation spring": "Schneetreiben im Frühling"
(...) Am Abend die Bilanz: mehr als 100 Festnahmen sowie als nicht beabsichtigte Draufgabe: knapp drei Kilogramm Heroin und Kokain beschlagnahmt, über eine Million Schilling Bargeld,(...)
(...) Unter den Verhafteten der harte Kern der Gruppe mit etwa 10 bis 15 Personen sowie die zwei mutmaßlichen Haupttäter.
Die beiden Afrikaner mit Beziehungen in mehrere Länder waren der Polizei bekannt aus Videos der Dokugruppe, aufgenommen bei Demonstrationen gegen die Polizei (...)
Behauptet wurde von der Polizei, das diese Razzia schon lange geplant war, und die Personen schon lange observiert wurden. Auch wurde behauptet das es sich um eine Drogenrazzia handelte, da ist doch Kokain und Co keine "nicht beabsichtigte Draufgabe"!
Chronologie eines Protestes
Ein paar Stunden nachdem der Mord an Marcus bekannt wurde, kam es zu einer autonomen Spontandemo durch die Wiener Innenstadt. Am nächsten Tag gab es ein Treffen, das sich vom anarchistischen bis zum christlich-bürgerlichen Spektrum erstreckte, mit Beteiligung der Black Comunity. Es gründete sich eine Plattform, die später den Namen "Für eine Welt ohne Rassismus" erhielt. Es wurde eine Demonstration für den 8. Mai geplant, und schnell sprangen die Bürgerlichen ab, da ihnen die Forderungen "Weg mit allen rassistischen Gesetzen" und "Freiheit für alle Schubhäftlinge" zu radikal waren. Auch stellte sich heraus, daß sie das Ganze nicht für sich vereinnahmen konnten. Am Abend des gleichen Tage kam es noch zu einer kurzen Besetzung der SPÖ Zentrale, am nächsten Tag gab es nach einer Kundgebung vor dem Parlament noch eine Spontandemo, bei der es wieder gelang die SPÖ Zentrale zu besetzen. Bis jetzt gibt es noch tägliche Mahnwachen vor dem Innenministerium, SPÖ Plakate wurden massiv mit "Fesseln, Knebeln, Erstickenlassen" überklebt, mehrere kleinere Spontandemos fanden noch im Laufe der Woche statt, und am Samstag dem 8. Mai kam es dann zu einer der größten und stärksten Demos, die es seit langem in Wien gegeben hat. Ungefähr 3000 Menschen solidarisierten sich, und diesmal waren es nicht nur die "typischen Linken", weiß und Mittelstand, sondern auch massiv Angehörige der "Black Community", die auf die Staße gingen!
Mit massiver Öffentlichkeitsarbeit wurden Gruppen in ganz Europa über die Situation in Österreich informiert, und es wurde zu einem internationalen Aktionstag am 12. Mai aufgerufen. Diesem Aufruf sind auch die Sans Papiers gefolgt, die eine Kundgebung vor der österreichischen Botschaft in Paris abgehalten haben, in Dublin wurde vor der österreichischen Vertretung demonstriert, und in England wurde der österreichische Botschafter mit Protestfaxen und Rücktrittsaufforderungen an den Innenminister Schlögl überschwemmt. An dieser Stelle nochmal ein herzliches Dankeschön an alle, die sich solidarisiert haben! In Wien gab es an diesem Tag eine Demo rund um ein Abschiebegefängnis und danach eine Trauerkundgebung von SOS-Mitmensch, die allerdings von der "Black Community" kaum bis gar nicht besucht wurde, da SOS-Mitmensch versucht hatte diese für ihre Zwecke zu vereinnahmen. Nach diesem Aktionstag folgten noch ein paar kleine Aktionen, und schließlich am 5. Juni noch eine weitere breit mobilisierte Demo, die ganz im Zeichen der Repressionswelle durch die "Operation Spring", und an der sich auch sehr deutlich zeigte, wie gut es dem Staat gelungen ist, den Widerstand zu spalten: Es beteiligten sich nur mehr ca. 500 Personen.