Antisemitismus
Entgegen dem weitverbreiteten Selbstverständnis der Linken, gegen Antisemitismus gefeit zu sein, gibt es eine lange und traurige Geschichte antisemitischer Vorurteile und Denkensweisen, die nicht selten in offene Anfeindungen übergehen. Die Meinung, als aufrechteR AntifaschistIn könne man doch gar nicht antisemitisch sein, begünstigt das Ignorieren oder Übersehen des latenten, oft sehr subtilen, Antisemitismus in den eigenen Reihen, vor allem seit dieser als "Antizionismus" oder auf ähnliche Art und Weise getarnt einherkommt. Gerade hier in Österreich ist aufgrund der Geschichte, und der bis heute andauernden unseligen Traditionen, eine Aufarbeitung und eine kritische Auseinandersetzung damit geboten. Der folgende Text soll ein kleiner Beitrag dazu sein.
Der Antisemitismus war und ist eine in immens großen Teilen der Bevölkerung verbreitete Geisteshaltung, weshalb es auch nicht weiter verwunderlich ist, daß auch Linke Teile dieses Gedankengut verinnerlicht haben. Umsomehr, als einige integrale Bestandteile des modernen Antisemitismus, wie z.B. Verschwörungstheorien über die Allmacht einiger (jüdischer?) Kapitalisten, die in geheimen (Freimaurer-?) Logen das Schicksal der Welt bestimmen, denjenigen Linken, die noch immer nicht begriffen haben, wie komplex der Kapitalismus in Wahrheit funktioniert, nicht fremd sind, und teilweise auch sehr entgegenkommen. Die allgemeine Identifizierung "der Juden" mit dem Bild des Wucherers, des Kapitalisten schlechthin, ermöglicht die Kanalisierung des antisemitischen Grundkonsens der Bevölkerung in eine scheinbar antikapitalistische Richtung. Wer über die Beutelschneiderei der Rothschilds schwadroniert, rennt bei "ganz normalen ÖsterreicherInnen" offene Türen ein. Durch den Bestand dieses Vorurteils, erhält der Antisemitismus eine Art rebellischen Charakter, geht es doch plötzlich nicht mehr gegen eine unterdrückte Minderheit, sondern um den Kampf gegen das Kapital. Diese Opfer - Täter Umkehr erleichtert so manches, und ist nicht zuletzt einer der Gründe, weshalb vor 60 Jahren tausende von SozialdemokratInnen und KommunistInnen mit Begeisterung zu den Nazis überliefen.
Verkürztes Weltbild
Eine Form des latenten Antisemitismus unter denselben Vorzeichen, der noch viel subtiler, und auf den ersten Blick vielleicht sogar einleuchtend, vorgibt im Interesse der Unterdrückten zu handeln, ist die Art Antizionismus, wie er von Teilen der antiimperialistischen Linken propagiert wird.
Dieser Antizionismus stützt sich auf ein bipolares Weltbild, das über die Antiimpszene hinaus, in der Linken weit verbreitet ist, und das die Welt sauber in Gut (Unterdrückte) und Böse (Unterdrücker) einteilt. Vor allem in den Industriestaaten ist diese einfache Einteilung schon lange hinter der kapitalistischen Realität zurückgeblieben, alle Teile der Gesellschaft sind in den Prozeß der Ausbeutung eingebunden, als Opfer, HandlangerInnen und NutznießerInnen des Systems, wenn auch in stark unterschiedlichem Maße. Im Trikont allerdings ist es vermeintlich noch möglich "einen klaren Trennungsstrich zwischen sich und dem Feind" (Mao) zu ziehen.
Und seit klar ist, daß einfache Erklärungs- und Lösungsansätze in den Metropolen erstens zu kurz greifen, und zweitens "das Proletariat" zumindest momentan eher auf uns scheißt, als als "Massenbasis für die Revolution zu dienen", wurden die Sichtweisen und Erwartungen einfach auf die "kämpfenden Massen" in Südamerika, Afrika und Asien übertragen. Dort war und ist es noch möglich sich selbst auf der "richtigen" Seite, vielleicht sogar auf der Seite der GewinnerInnen zu sehen. Die Wahl der richtigen Seite scheint sehr einfach: Ein ganzes Land wird unterdrückt und ausgebeutet, so sind alle aus diesem Land "die Guten". Und spätestens hier wird es bedenklich, wenn einem ganzen "Volk" unterstellt wird, die gleichen Interessen zu haben, als Einheit für eine gerechte Sache zu kämpfen, ja überhaupt eine Einheit zu sein, womit sämtliche Unterdrückungsverhältnisse innerhalb des "Volkes" ignoriert werden. Noch bedenklicher wird es, wenn die Gegenseite als ein personalisiertes Böses ausgemacht wird, eben als die Amerikaner, die Briten, die Israelis... oder einfach die Kapitalisten, als dunkle, verschwörerische Gruppe (und nicht der Kapitalismus als Gesellschaftsstruktur). Die antisemitischen Tendenzen bzw. Assoziationen, die mit der Personifizierung des Kapitals verbunden sind, wurden oben kurz beschrieben, zumindest etwas mehr Vorsicht und eine differenzierte Analyse wären hier dringend geboten. Ganz banal antisemitisch wird es, sobald in der gutböse Rechnung im Palästinakonflikt wiederum ein ganzes "Volk" als Feind identifizert wird. In diesem Fall sind das nämlich "die Juden". Sobald dies geschehen ist, lassen die sogenannten AntizionistInnen ihrem Antisemitismus freien Lauf, teilweise vielleicht sogar ohne es selbst zu realisieren. Äußerungen wie "Aus den vom Faschismus vertriebenen Juden sind selbst Faschisten geworden, die in Kollaboration mit dem amerikanischen Kapital das palästinensische Volk ausradieren wollen." sprechen jedoch eine relativ deutliche Sprache, v.a. wenn es sich wie hier um ein Zitat aus einem Text zu Anschlägen auf Mahnmale für die Opfer des Holocaust handelt. Verübt am 31. Jahrestag der "Kristallnacht" 1969 in West-Berlin!!!! Und zwar nicht von Neonazis, sondern von den "schwarzen Ratten/Tupamaros" einer Vorläufergruppe der Bewegung 2.Juni! Auch die Tatsache, daß bei der Entführung einer Verkehrsmaschine nach Entebbe 1976, von Angehörigen zweier linker Gruppen, nämlich palästinensische PFLP (Volksfront zur Befreiung Palästinas) und deutsche RZ (Revolutionäre Zellen), jüdische Passagiere von den anderen abgesondert wurden, zeugt nicht nur von unfaßbarer politischer Amnesie der bundesdeutschen Beteiligten, und Ignoranz ihrer eigenen Position gegenüber. Deutschland (und diesmal ist damit auch Österreich gemeint) ist nämlich immer noch das Land, das die bisher unmenschlichste, grausamste und umfangreichste Massenvernichtung v.a. von jüdischen Menschen hervorgebracht hat, die die Welt jemals gesehen hat. Und das war nur möglich, weil viele, sehr viele, dafür waren, weil das gesellschaftliche Klima solches ermöglicht hat. Und niemand sollte ernsthaft glauben, daß sich dieses antisemitische Klima wesentlich verändert hätte, daß alles vorbei wäre.
Schlechtes Gedächtnis
Darum gilt es auch als deutsche und österreichische Linke immer die blutigen Traditionen dieser Länder im Kopf zu behalten, immer daran zu denken, daß sich vergleichbares niemals wiederholen darf. Leider ist auch in der aktuellen Situation davon nicht immer viel zu bemerken, auch wenn die letzten Jahre doch einen gewissen Wandel gezeigt haben. Mit Davidsternen verwobene Hakenkreuze, und andere allzu plumpe Frechheiten, die die israelische Politik mit dem Nationalsozialismus gleichsetzen, getraut sich innerhalb der Linken kaum noch jemand zu publizieren. Auch das oben erwähnte Zitat ist schon älteren Datums. Weniger alt sind allerdings Aussagen und Flugblattexte wie: "Mit Drohungen, Aggressionen und der sogenannten "Nahost Friedenskonferenz" versuchen die USA Israel in den arabischen Raum vorzustoßen. Um auf diesem Weg die gesamte Region unter amerikanisch-zionistische Herrschaft zu bringen." (Aus einem Flugi zum Luftangriff der USA und England auf den Irak) " ...währenddessen hält das zionistische Gebilde "Israel" Palästina, die Golanhöhen und den Südlibanon besetzt." (Flugi zur Bombadierung des Sudan und Afganistans). Bedenklich erscheint uns auch der Text auf einer Single der Gruppe B.O.R.B. aus den 80ern (gemeinsam herausgegeben von KPÖ, KJÖ, KSV, GA und GE, aber auch vom autonomen BesetzerInnenbeisl Rotstilzchen), der an die PalästinenserInnen gerichtet meint: "Sie konzentrieren euch in Lagern, wie vor 50 Jahren, nur daß es damals die anderen waren." Oder die Wortmeldung, den Holocaust solle man jetzt doch endlich vergessen und sich aktuelleren Problemen widmen. (Während einer Debatte über linken Antisemitismus!) Ebenso kürzlich (wieder?) aufgestellt wurde die Behauptung, bei der Flugzeugentführung nach Entebbe, wären "eben die Zionisten" ausgesondert worden, was unterstellt es wäre möglich anhand von Aussehen, Namen und/oder Herkunft, zu bestimmen ob jemand ZionistIn ist, was eine gehörige Portion verinnerlichter NS- Rassenideologie, verschönt durch linke Diktion, erkennen läßt. Es heißt nämlich damit auch: "alle Juden sind Zionisten", eine antisemitische Verschwörungstheorie ,die auch in der Linken keineswegs neu ist.
Alte Vorurteile
Nachdem der Begriff Antizionismus ursprünglich aus der "innerjüdischen" Diskussion stammte, und v.a. von linken JüdInnen als Teil des Antinationalismus begriffen wurde, führten die stalinistischen Machthaber in der SU und in Osteuropa eine Reihe von widerlichen Schauprozessen gegen vermeintliche "zionistische Spione" und "Kosmopoliten" durch, die schließlich die Form von regelrechten Judenverfolgungen annahmen. Alle Jüdinnen und Juden wurden durchwegs als "Zionisten" bezeichnet, obwohl nur die wenigsten AnhängerInnen der gleichnamigen Ideologie waren. Vielmehr handelte es sich bei den Opfern der Prozesse großteils um ParteifunktionärInnen der KP, bzw. um ehemalige WiderstandskämpferInnen, denen nun ihre Herkunft oder sogar ihr Engagement gegen den Faschismus zum Vorwurf gemacht wurde. Arthur London zitiert die Aussage eines KP-Referenten während seines Verhörs zum Slansky Prozeß folgendermaßen: "Die Tatsache, daß sie, obgleich sie Jude sind, lebend zurückgekehrt sind, ist an sich schon ein Beweis für ihre Schuld und zeigt daher, daß wir im Recht sind." Und meint weiters: "Der Referent verlangte ganz unverblümt von mir, bei jedem der erwähnten Namen anzugeben, ob es sich um einen Juden handle oder nicht. Er setzte aber jedes mal anstelle der Bezeichnung "Jude" das Wort "Zionist"ein." (Der Beginn einer langen Tradition?) Es würde zu weit führen die Prozesse und Säuberungen in den realsozialistischen Staaten genauer zu beschreiben, es soll nur darauf hingewiesen werden, daß auch hier antisemitische Verschwörungstheorien, Vorurteile und Zuschreibungen bedient wurden, um ein von der Bevölkerung gerne aufgegriffenes Feinbild und einen Sündenbock schaffen zu können. Und wieder wurde Antikapitalismus und Antiamerikanismus mit antisemitischen Vorurteilen und Verschwörungstheorien vermengt, und sowohl als Rechtfertigung als auch als Propagandaschmäh verwendet. In einer Sendung von Radio Moskau vom 24.12.1967 mit dem Titel "Warum unterstützen die USA Israel" wurde folgende Behauptung aufgestellt: "die Fakten beweisen, daß die Mitglieder zionistischer Organisationen 75% der amerikanischen und weltweiten Presseagenturen sowie die Hälfte aller Zeitungen und Zeitschriften in den USA kontrollieren. Sie sind in den Aufsichtsräten von ungefähr 40% der wichtigsten Firmen und eines Großteils der Banken vertreten, die sowohl in den USA wie im Ausland operieren. Diese Zahlen machen deutlich, daß der Zionismus die wichtigsten Institutionen der Wirtschaft und der Öffentlichkeit in den USA kontrolliert. (...)" Behauptungen, die sich von den "Protokollen der Weisen von Zion" nicht allzu wesentlich unterscheiden. Daß sich antisemitische Versatzstücke der Theorie vom "Sozialismus in einem Land" bis heute gehalten haben, zeigen gerade jetzt die NationalkommunistInnen Rußlands besonders eindrucksvoll, indem sie auf eben diese althergebrachten Zuschreibungen und Argumentationsmuster zurückgreifen. Einer breiten Zustimmung können sie sich dabei sicher sein.
Mit der Masse schwimmen
Auch die Öffentlichkeit in Österreich scheint die, seit der Waldheimkampagne zwar seltener gewordenen, aber immer noch zur Tagesordnung gehörenden, antisemitischen Ausfälle ihrer ProtagonistInnen wenn schon nicht mit Wohlwollen, dann zumindest auch nicht mit Ablehnung zu begegnen. Bestes Beispiel gibt die rechtzeitig zum 60 Jahrestags des Novemberprogroms begonnene Aufrechnung der Shoah mit der Vertreibung der Sudetendeutschen durch den Obmann der FPÖ, Dr.H. und zuviele andere, oder die Debatte über die Entschädigung von ZwangsarbeiterInnen und die Rückgabe der von den Nazis geraubten jüdischen Gelder und Kunstgegenstände, in der schon wieder das Bild vom raffgierigen Juden bemüht wurde. Wieder kommt der alte Antisemitismus, der in Österreich eine so lange Geschichte hat, und den es schon vor Hitler gab, ja von dem einige behaupten Hitler hätte ihn in Wien gelernt, zum Vorschein. Thomas Bernhard schreibt dazu in "Heldenplatz": "...in Österreich Jude zu sein bedeutet immer zum Tode verurteilt zu sein, die Leute mögen schreiben und reden was sie wollen, der Judenhaß ist die reinste, die absolut unverfälschte Natur des Österreichers (...) Am liebsten würden sie, wenn sie ehrlich sind, uns auch heute genauso wie vor fünfzig Jahren vergasen..." Und zum Beweis, versuchten die ganz normalen WienerInnen die Aufführung dieses Stückes mit antisemitischen Demonstrationen zu verhindern. Das ist Wien. Um mit dieser mörderischen Tradition zu brechen, erwarten wir uns von der Linken (gerade in diesem Scheißland), sprich von Antifaschisten und Antifaschistinnen ein energischeres und klareres Gegengewicht, das die Ursachen und Wurzeln dieses Gedankenguts erkennt und überall bekämpft.
Literatur:
- Leon Poliakov
"Vom Antizionismus zum Antisemitismus"
Ca ira 1992 - S. Grigat
"Wiener G'schichtn"
in Bahamas 20-1996 - UNItat 1-98
"Die Führerleiche im Keller" - Revolutionäre Zellen
Gerd Albartus ist tot
in "Früchte des Zorns"
ed. ID Archiv