Ägypten: Pyramiden und Terror
In den Augen der meisten EuropäerInnen besteht Ägypten nur aus diesen beiden Schlagworten
Das bevölkerungsreichste arabische Land kommt immer nur dann in die Schlagzeilen europäischer Medien, wenn wieder einmal TouristInnen von islamistischen Untergrundorganisationen ermordet werden.
Die soziale und politische Misere, welche den Hintergrund für den Zulauf zu islamistischen Organisationen bildet, wird jedoch nur selten zur Sprache gebracht. Dabei ist Ägypten ein Musterbeispiel dafür, wohin IWF-Auflagen und eine neoliberale Wirtschaftspolitik eine pro-westliche Militärdikdatur im Trikont bringen können.
Bereits unter Präsident Sadat, der nach dem Tod des panarabischen Sozialisten Gamal abd an-Nasser an die Macht kam, setzte eine Rückkehr der ägyptischen Wirtschaft zum westlichen Modell des Kapitalismus ein, sowie eine außenpolitische Anbindung an die USA.
Um den Widerstand der Linken gegen diese Politik zu brechen, unterstützte der neue Präsident - als langjähriger Kontaktmann des Militärregimes zu den Muslim Brüdern - den Aufbau der islamistischen StudentInnenorganisation Gamaa Islamiya und die Legalisierung der Muslim-Bruderschaft. Diese beiden Gruppierungen eines konservativen, politischen Islam halfen der Regierung willig, die Linke, insbesondere die KP und die NasseristInnen, zu zerschlagen.
Erst als die IslamistInnen zu stark wurden, und gegen Sadats Friedensvertrag mit Israel opponierten, wendete sich auch der neue Präsident gegen seine ehemaligen Schützlinge, was ihm am 6. Oktober 1981 das Leben kostete. Die Untergrundorganisation Jihad Islamy ermordete den Präsidenten bei einer Militärparade in der IslamistInnenhochburg Asyut. Unter den Mördern befanden sich auch einige Studenten, die Sadat noch zwei Jahre zuvor für ihren Einsatz gegen die Linke bei einer Ansprache in der Universität Asyut gelobt hatte.
Trotz der erfolgreichen Ermordung des Staatsoberhauptes gelang es den IslamistInnen aber nicht, die Macht zu übernehmen. Es kam zwar zu lokalen Aufständen, und die Stadt Asyut befand sich sogar einige Tage unter islamistischer Kontrolle, für einen Sturz der Regierung reichte die Unterstützung der Bevölkerung aber nicht aus.
Der Nachfolger Sadats, Präsident Hosni Mubarak ging den Weg der wirtschaftlichen Liberalisierung weiter, ließ aber auch eine stärkere Öffnung des politischen Systems zu. Die bereits unter Sadat wieder zugelassenen Parteien bekamen einen etwas größeren Handlungsspielraum, und die Zensur ihrer Medien wurde gelockert. Neue Parteien wurden zugelassen, KP oder TrotzkistInnen blieben jedoch ebenso verboten wie die Bildung einer islamistischen Partei.
Durch Unterwanderung der Arbeiterpartei gelang es aber wenigstens der Muslim-Bruderschaft in das Parlament einzuziehen.
Am prinzipiellen Charakter des Militärregimes hat sich aber trotz dieser dezenten Öffnung unter Mubarak nichts geändert. Politische Gefangene, Hinrichtungen, willkürliche Verhaftungen, Wahlbetrug, Zensur,... gehören immer noch zu den Methoden des Regimes. "Demokratie" wird nur so lange zugelassen, wie die Macht der führenden Nationaldemokratischen Partei, d.h. des Militärs nicht in Frage gestellt wird, und Mubarak bei jeder Wahl seinen Wahlsieg auf weit über 90% präsentieren kann, wenn es sein muß eben mit Wahlbetrug oder mit der verfaßungswidrigen Verlängerung der Amtszeit über die vorgeschriebenen zwei Amtsperioden hinaus.
Gerade im laufe des letzten Jahres hat das Regime wieder deutlich panischer auf Opposition reagiert. Eine ganze Reihe von Journalisten wurden verhaftet. Zwei Mitglieder des Zentralkomitees der Nasseristischen Partei und Journalisten der Parteizeitung al-Arabi sitzen längere Haftstrafen wegen der Beleidigung eines Regime-Intellektuellen ab. Selbst Teile des Parteivorstandes der liberalen Wafd-Partei wurden im Juni 98 kurzfristig verhaftet.
Die einfache Bevölkerung in den Armenvierteln Kairos oder den Dörfern Mittelägyptens besitzt sowieso keine Menschenrechte. Kein nationaler oder internationaler Beobachter bemerkt wenn dort Leute willkürlich verhaftet, manchmal sogar erschossen werden. Der "Bürgerkrieg auf Sparflamme" der seit der Verdrängung der Gamaa Islamiya in den Untergrund und dem Aufbau des Jihad Islamy in Mittelägypten existiert, wird nicht nur von den IslamistInnen mit brutaler Härte geführt, sondern auch von der sich so demokratisch gebenden Regierung, die als US-Freund - Ägypten beteiligte sich auf Seiten der USA am Krieg gegen den Irak, und hat auf seinem Territorium seit Jahren US-Militärstützpunkte - als eine der sympathischen Regierungen der Region in den europäischen Medien dargestellt wird.
Die soziale Misere der ägyptischen Bevölkerung hat sich mit der neo-liberalen Wirtschaftspolitik der letzten Jahre noch weiter verschärft.
Wer in Ägypten die letzten Jahrzehnte reich geworden ist, hat dies nur mit Korruption, Waffengeschäften, Drogenhandel oder anderen dunklen Geschäften erreichen können. Als Extremfall für die überbrodelnde Korruption im Lande soll nur erwähnt werden, daß 1982 der Halbbruder Sadats mit einem Vermögen von umgerechnet über 2 Milliarden Schillingen verhaftet wurde, das er sich in nur sieben Jahren zusammengeräubert hatte. Besonders krasse Fälle werden manchmal verhaftet um den Anschein zu erwecken, die Regierung ginge gegen die Korruption vor, reich kann man damit aber immer noch am besten werden.
Im Gegensatz dazu lebt die Masse der Bevölkerung in immer bitterem Elend. Mittlerweile ist in vielen Dörfern Ober- und Mittelägyptens sogar schon die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln ein Problem. Kleine Mädchen sterben dort bereits an Mangelerkrankungen.
Die Budgetausgaben für Gesundheit sind von rund 5% unter Nasser auf rund 2% zurückgegangen. Die Folge davon ist die verstärkte Ausbreitung endemischer Krankheiten wie Malaria oder Billharziose.
Gelang es unter Nasser und Sadat noch den Analphabetismus von ca. 75% (1952, Revolution der "Freien Offiziere" und spätere Machtübernahme Nassers) auf 45% (1980) zu reduzieren, so nimmt dieser nun wieder zu. Laut UNESCO betrug der Analphabetismus 1985 schon wieder 55.5%, heute reden die meisten Schätzungen schon wieder von über 60%. Ganz besonders sind davon die Frauen betroffen. Bei ihnen können ca. 80% weder schreiben noch lesen. Diese Zahlen verwundern kaum, wenn sich Mensch das Ausmaß an Kinderarbeit im Lande ansieht. Laut Regierungsangaben sind über 10% der regelmäßig Beschäftigten Kinder. In die Schule kann nur, wer Zeit hat nicht den ganzen Tag zum Familieneinkommen beitragen zu müssen.
Durch die Streichung von Subventionen für Grundnahrungsmittel ist das Leben für die Armen massiv teurer geworden, ohne daß sich die Gehälter erhöht hätten. So arbeiten viele Familienväter und -mütter 18 Stunden am Tag um ihre Familie irgendwie über Wasser zu halten, vormittags im Büro, nachmittags als Taxifahrer und in der Nacht in einem Kaffeehaus. Mensch ist froh überhaupt eine Arbeit, eine Einkommensquelle für die Familie zu haben.
Daß unter diesen Umständen die Empörung in der Bevölkerung wächst, kann wohl kaum verwundern. Schade ist nur, daß diese Empörung durch die weitgehende Zerschlagung der Linken immer mehr Menschen in die Arme islamistischer Gruppen treibt.
Trikont:
"drei Kontinente": Afrika, Asien, Lateinamerika; Bezeichnung für jene Staaten des Südens, die im bürgerlichen Diskurs oft als "Entwicklungsländer" oder "3. Welt" bezeichnet werden.
IWF:
Internationaler Währungsfond, zwingt Schuldnerländer im Trikont mit bestimmten Auflagen z.B. Gesundheits- oder Bildungsausgaben zu kürzen.
Nasserismus:
Ideologie Gamal Abd an-Nassers, welche panarabische Nationalideen mit einer sozialistischen Wirtschaftspolitik verbindet. Nasseristische Parteien waren und sind auch in vielen anderen arabischen Staaten aktiv, da Nasser eine weit über Ägypten hinausgehende Anziehungskraft auf die arabischen Massen hatte. Seit einigen Jahren ist auch in Ägypten wieder eine nasseristische Partei zugelassen.
Nationaldemokratische Partei:
Ägyptische Regierungspartei des Präsidenten Mubarak. Ihr überwältigender Wahlsieg steht bei allen Wahlen von vornherein fest.
Muslim Bruderschaft:
In den Dreissigerjahren von Hassan al-Banna gegründete islamische Laienorganisation, die sich am Anfang vor allem auf karitative Arbeit beschränkte, und durch eine starke Verankerung bei den Armen auch sozialrevolutionäre Inhalte vertrat. Die zweite Generation der Muslim Bruderschaft wurde jedoch nach der Hinrichtung ihres Gründers in den Erdölstaaten am Golf reich, und brachte die Organisation seither auf einen immer bürgerlicheren, konservativen Kurs.
Unter Nasser wurden die Muslim Brüder massiv verfolgt, unter Sadat wieder legal - aber nicht als Partei - zugelassen. Im Ramen der Arbeiterpartei sitzen trotzdem eine Reihe von Muslim Brüdern im ägyptischen Parlament.
Gamaa Islamiya:
Islamistische StudentInnenorganisation, die anfänglich von Sadat gefördert wurde, aber am Ende seiner Amtszeit in den Untergrund gedrängt wurde, und seither die bedeutendste bewaffnete Untergrundorganisation in Ägypten darstellt. Als einzige islamistische Organisation Ägyptens verübte die Gamaa Islamiya auch Anschläge gegen Kopten, die rund 10% der Bevölkerung umfaßende christiliche Minderheit Ägyptens.
Jihad Islamy:
bewaffnete islamistische Gruppe, die 1981 Sadat ermordete, aber nie die Massenbasis der Muslim Bruderschaft, oder der Gamaa Islamiya erreichte.