"Paß auf, dein Gesicht merk' ich mir!"

Tathandlung: Pickerl kleben

Was in Graz seit Februar passiert, zeigt deutlich, wie sehr eine Exekutive durch die neue Regierung Rückenwind bekommt, die schon immer mit Linken "aufräumen" wollte. Seit der Angelobung von Schwarz-Blau wurde die Repression natürlich nicht neu erfunden, aber sie hat sich massiv verschärft.

Bereits am 5. Februar griff die Polizei nach einer Demonstration gegen die Regierung ein friedliches Sit-In einiger Jugendlicher an, prügelte auf bereits am Boden Liegende ein und verhaftete vier DemonstrantInnen wegen "Widerstands gegen die Staatsgewalt". In den folgenden Monaten hagelte es wegen Kleinigkeiten Anzeigen und Verwaltungsstrafen, vor allem im Umfeld der Gruppe "Mayday 2000", etwa wegen Klebens von Pickerln, wegen ganz normaler Infostände oder wegen angeblicher Verstöße gegen das Versammlungsgesetz. Zweimal bemühte die Staatspolizei sogar das Landesgericht, allerdings bislang vergeblich: einmal für einen künstlerischen Demo-Beitrag, der den Staat Österreich beleidigt haben sollte, das andere Mal wegen einer völlig legalen "Touristeninformation" von "Mayday". Herausgegriffen wurden immer einige wenige AktivistInnen, die pauschal in den Augen der Polizei für alles und jedes als verantwortlich galten.
Es war schon vor einem halben Jahr mehr als nur unangenehm, mit "linkslinkem Zeug" - um die Behördenvertreter zu zitieren - beim Schwarzplakatieren erwischt zu werden. In der letzten Zeit hat sich die Situation in Graz allerdings noch einmal verschlimmert: Vielleicht ermutigt durch das lokale Schweigen zu Polizeiübergriffen, vielleicht gestärkt durch die allgemeine Gewöhnung an eine FPÖ-Regierungsbeteiligung, versucht die Polizei nun mit allen Methoden, die regierungskritische und parteiunabhängige Szene zum Verstummen zu bringen: mit Schikanen, brutalen Polizeieinsätzen und offenen Drohungen.

Mißhandlungen auf offener Straße

Am 6. Oktober endete eine friedliche Meinungsäußerung in einer Polizeiattacke, bei der alle Menschenrechte mit Füßen getreten wurden. Bei einer Wahlkampfveranstaltung der ÖVP am Hauptplatz mit dem bayrischen Rechtsaußen-Politiker E. Stoiber (CSU) und "Landeshauptmann" Waltraud Klasnic mischten sich ca. 12 Leute unter die ZuhörerInnen und versuchten, ein Transparent mit der Aufschrift "Widerstand organisieren" hochzuhalten. Sofort riß ihnen ein Großaufgebot an Polizei dieses Transparent aus den Händen und zerstörte es unter aktiver Mitwirkung von ÖVP-SympathisantInnen. Die Polizeisondereinheit "Taurus" kesselte die kleine Gruppe ein, während Stoiber von den "Europäern" halluzinierte, die nur noch "5% der Weltbevölkerung" ausmachten und daher den "Kampf" aufnehmen müßten und unter dem tosenden Beifall der Anwesenden die "traditionell gute Achse Berlin-Wien" lobte. Nach dem Ende der Wahlkampfveranstaltung zerrten Polizisten die AktivistInnen unter Gewaltanwendung an den Straßenrand und hinter eine Tribüne, weg von Kameras und PassantInnen. Ohne Vorwarnung stürzten sich seine Beamten auf die Leute, stießen sie zu Boden, traten und schlugen zu. Niemand wehrte sich, die Gruppe versuchte nur, einander festzuhalten und durch Rufe auf sich aufmerksam zu machen. Trotzdem zerrte die Polizei einige von ihnen - gerade Leute, die ihnen als politisch aktiv bekannt waren - vom Platz, legte ihnen Handschellen an und zog und schleifte sie in Seitengassen. Selbst Bekannte und FreundInnen, die zu Hilfe kommen wollten, fanden sich plötzlich in Handschellen wieder.

Ein gerade 18-jähriger z. B. wurde erst zu Boden geworfen, danach stürzten sich noch drei Beamte auf ihn. Arme wurden verdreht, ohnehin schon enge Handschellen noch fester zusammengepreßt ÖVP-SympathisantInnen attackierten unter Duldung der Polizei AktivistInnen, die nicht einmal mehr die Hände frei hatten, um sich zu schützen. Taschen wurden weggerissen, durchsucht, Sachen wie Flugblätter und Bücher beschlagnahmt.

Einen Mitarbeiter von "Radio Helsinki" hinderten Polizisten daran, die Vorgänge aufzunehmen. Ein anderer Beobachter, der einen Fotoapparat bei sich hatte, wurde von Staatspolizisten in eine Ecke gezerrt und gegen die Wand gestoßen. Polizisten rissen ihm die Kamera weg und suchten nach dem Film, um ihn zu entfernen. Ein Aktivist trug ein Aufnahmegerät bei sich, die "Taurus"- Beamten hielten ihn fest, verdrehten ihm den Arm und bogen zu dritt seine Finger zurück, mit denen er das Gerät bis zum Schluß noch umklammerte. Als er sie später nach dem Diktiergerät fragte, erwiderte einer der Beamten: "Das ist verloren gegangen." Es hagelte willkürlich Anzeigen, insgesamt 13, wobei bis heute unklar ist, weswegen und ob nach dem Verwaltungs- oder Strafrecht, klar ist nur, die Hälfte der Betroffenen sind Minderjährige. Bezeichnend ist die zynische Bemerkung des Einsatzleiters zu einem jungen Mann, als er gerade in Handschellen in eine Seitengasse geschleppt wurde: "Wenns Ihnen nicht paßt, könnens ja zum UVS gehen ..."

"Paß auf, daß du mir nicht allein über den Weg läufst ..."

Wie immer, "Mayday" ging jedenfalls an die Öffentlichkeit mit dem, was passiert war. Am Wahltag verteilten wir sogar Flugblätter vor dem Sitz der Landesregierung und kassierten dafür wieder einmal eine Anzeige. Doch die Hoffnung, daß sich innerhalb der politischen Opposition in Graz endlich einmal ein hörbarer Protest gegen die Polizeiwillkür regen würde, erfüllte sich nicht. Dafür reagierte die Polizei darauf, daß wir ihr öffentlich Übergriffe und Mißhandlungen vorgeworfen hatten: In Briefen an die Lokalzeitungen überhäufte sie uns, besonders jene Leute, die die "Mayday"-Aussendungen namentlich unterzeichnet hatten, mit Verleumdungen und Anschuldigungen. Für alles, was an angeblichen Aggressionen gegenüber der Polizei passiert sein soll, macht seitdem die Polizei "Mayday" verantwortlich. Was das in der jetzigen Lage bedeutet, verdeutlichten die Ereignisse beim einem Straßenfest am 14. Oktober.

Anläßlich des Besuchs der "Kulturkarawane gegen rechts" kam es erneut zu Übergriffen der Polizei: Am späteren Abend hatte angeblich ein Jugendlicher einen Polizisten bedroht, was eine Personalienaufnahme ja noch erklärt hätte. Doch anstatt einfach die Daten aufzuschreiben, verhaftete die Polizei den Burschen. Als der Versammlungsleiter dazukam und den Grund für die Verhaftung wissen wollte, wurde er selbst von den Beamten angegriffen, weggestoßen, der Arm wurde ihm nach hinten verdreht und er wurde am Boden weggeschleift. Seine Rufe machten andere FestteilnehmerInnen aufmerksam, die daraufhin ebenfalls hinliefen, sich dazwischenstellten und von der Polizei eine Rechtfertigung für ihr Vorgehen verlangten.
Die Beamten drängten auch sie mit Gewalt zurück, dabei fielen gegenüber bekannten "Mayday"-Leuten Drohungen wie: "Wenn Sie da nicht verschwinden, nehmen wir noch einen mit." Oder - noch schlimmer: "Dein Gesicht merk' ich mir, paß auf, daß Du mir nicht allein über den Weg läufst."

Noch erschreckender ist der zweite Zwischenfall dieses Abends: Ein Teilnehmer eines nächtlichen Demozuges war beim Burgtor unter den Demowagen geraten, das Auto überfuhr sein Bein. Aufgrund der Dunkelheit unter dem Torbogen, des Gedränges und der lauten Musik bemerkte niemand diesen Unfall außer zwei Jugendlichen und den Einsatzpolizisten. Etwas Unglaubliches passierte: Die Polizisten unterließen es nicht nur, sofort die Rettung zu rufen, sondern forderten die Jugendlichen, die helfen wollten, auf, weiterzugehen: "Geht's weiter, laßt ihn liegen, er ist selber schuld." Zum Glück taten die beiden das nicht, sondern alarmierten noch zwei weitere DemonstrantInnen und riefen die Rettung, was gut 20 Minuten dauerte, da sie keine Handys bei sich hatten.
In Zusammenhang mit dem skrupellosen Verhalten dieser Beamte - einen Verletzten einfach ohne Hilfe liegenzulassen - müssen auch die Drohungen gegenüber "Mayday"-AktivistInnen gesehen werden.

Die Mißhandlungen in aller Öffentlichkeit haben kaum jemanden in Graz berührt, wie sollte dann erst etwas Konsequenzen haben, das irgendwo in der Nacht passiert?
Zum Beispiel dieses: Vor einigen Wochen hatten Angehörige des mobilen Einsatzkommandos drei junge Leute aus dem Stadtpark mitgenommen, bedroht, beschimpft und erklärt, (!) das könne man ja locker wie drei Selbstmorde aussehen lassen (!).

Ein Vorschlag: Bundesweite Rechtshilfe aufbauen

Das politische Klima hat offenbar eine Situation geschaffen, in der sich ein Teil der Exekutive vermehrt zu Aktionen im Graubereich der Legalität ermutigt fühlt und offen Leute bedroht, Leute, die sich auch durch Anzeigen nicht von politischen Aktionen abbringen ließen oder Übergriffe der Polizei im Gegensatz zur ortsüblichen Tradition des Schweigens öffentlich machen und dadurch zur Zielscheibe werden.

Die vermeintlich "legale" Strategie der Polizei wiederum ist es, besonders aktive Personen mittels permanenter Anzeigen einzuschüchtern, zu kriminalisieren und finanziell zu ruinieren. In Graz treffen sie damit eine kleine linke Szene, die kaum über rechtliche und finanzielle Mitteln verfügt, um sich zu weh-ren.
Hier könnte eine gute Rechtshilfe für eine wichtige Unterstützung der AktivistInnen sorgen und zwar eine bundesweite Organisation, die mit finanziellen Mitteln und rechtlicher Beratung/Vertretung in schwierigen Situationen helfen kann.

Am Schluß ein paar Denkanstöße, was diese Rechtshilfe bieten sollte:

- Information bereitstellen (im Internet, mittels Rechtshilfeseminar, als Broschüre, als Film usw.) über Gesetze
- Umgang mit Behörden, Polizei und Gerichten mit Tips aus der Praxis
- Sicherheit/Datenschutz, z. B. Verschlüsselung von E-Mail)
- Gründung einer bundesweiten Rechtshilfe-Organisation, (mit entsprechender Beteiligung in den Bundesländern!) ev. nach Vorbild der "Roten Hilfe" in Deutschland
- finanzielle Unterstützung bei Prozessen oder Strafen
- (Gratis-) Anwälte organisieren
- Meldestelle bei Übergriffen, Repression, Überwachung
- Öffentlichkeitsarbeit, Soli-Kampagnen organisieren
- Rechtshilfe-Kontaktpersonen anbieten
- Unterstützung von Verhafteten, pol. Häftlingen

Vielleicht finden sich ein paar Leute, die so ein Projekt in Angriff nehmen wollen!

PS: Wir informieren hiermit alle, die direkt ihren Protest über die Polizeiübergriffe in Graz bei der zuständigen Stelle ausdrücken wollen: Bundespolizeidirektion Graz, Paulustorgasse 8, 8010 Graz, Polizeidirektor Dr. Franz Stingl, Tel. (0316) 888/3000, Fax (0316) 888/3014.

PPS: Nach wie vor ersuchen wir dringend um Spenden für die Rechtshilfe: BLZ 38.000, Sparbuchnummer 32 226 185, Bezeichnung MayDay 2000 Graz.
Weitere Informationen: mayday.widerstand.org

{MayDay 2000 Graz}