15.02.2001

§248 / Abs 35

Widerstandswoche 55

SCHWARZBLAU

# Massives wird derzeit bzgl. Delogierungsverfahren geplant: Schon ab 1.Juli sollen solche ohne Gerichtsverfahren im Eiltempo möglich sein. Konkret soll es möglich sein, den MieterInnen schon nach vier nichtbezahlten Wochen die Kündigung zu schicken - und wenn kein Einspruch erfolgt, diese ohne weitere Einspruchsmöglichkeiten durchsetzen zu können. (diverse medien ab 9.2.)

# Seit kurzem geht auch ein neuer Entwurf zur Überwachungsverordnung herum: Alle AnbieterInnen von Kommunikationsleistungen sollen verpflichtet werden, von sich aus solche technische Möglichkeiten zu schaffen, die es erlauben, sämtlich gewünschte Informationen (einschließlich Entschlüsselung) abrufbar zu machen. Zur Begutachtung erhielten diesen Entwurf nur wenige Auserwählte - allerdings mit Antwortfrist bis 23.2.

# Wien: Die Debatte um ein Wahlrecht auch für Nicht-EU-AusländerInnen (zumindest auf Bezirksebene) bleibt eine Farce: Schwarzblau ist sowieso dagegen. Die SP sei "prinzipiell dafür", allerdings brauche es eine "breite Diskussion", und überhaupt blockiere sie die VP. Somit könnten (werden) sie im zuständigen Ausschuß wohl auch dagegen stimmen. Einzig die Grünen forcieren dies Anliegen (Die sind auch noch nicht in der Stadtregierung .../ standard online 13.2)

POLIZEI UND GERICHTSVERFAHREN

# Weil Frau M. illegal in Österreich ist, wurde ihr ihr Kind nach der Geburt im Spital weggenommen - sie ist mit einem Österreicher verheiratet (also ist das Kind Österreicher), der allerdings nicht der Vater ist. Somit übergab das Jugendamt den Buben Pflegeeltern, die Frau M. nun auch zahlen soll. "Quasi immerhin" durfte sie ihr Kind alle drei Wochen besuchen - "und" abgeschoben wurde Frau M. bislang nicht. (profil 12.2.)

# Ein nunmehr abgeschlossenes Verfahren gegen den Ex-Fremdenpolizisten Andreas R dokumentierte der Falter: Der aktuelle Vorwurf lautete "fahrlässiger Umgang mit der Freiheit des Menschen". A.R. ist kein Unbekannter: Beteiligt u.a. an dem SEK-Einsatz, wo Imre B. erschossen wurde, an der Amtshandlung in einem Chinarestaurant - ausgelöst durch einen vermutet gefälschten Paß - wo die Beschuldigten 9 Monate wegen "Widerstand" erhielten, oder eben am vorliegenden Fall, als ebenfalls ein vermutet gefälschter Paß dem Beschuldigten 4 Tage U-Haft (Wochenende) einbrachte.

# Salzburg: Ein Verfahren gegen eine dort inhaftierte Nigerianerin wegen "Widerstand" im Knast wur-de vorläufig vertagt: Die Beschuldigte habe den Fernseher im Anstaltseigenen Aufenthaltsraum nicht abdrehen wollen. Die Beamten waren selbstredend ganz friedlich. Anders schildert dies die Beschuldigte: Sie sei geschlagen worden und in eine verschissene Einzelzelle gesteckt worden - trotz heftiger Bauchschmerzen (weswegen sie den Fernseher nicht abdrehen konnte - der ist knapp unter der Decke angebracht). Mal sehen wie die gerichtliche "Wahrheit" aussehen wird. (online standard 13.2)

# Prozesse gegen Donnerstagsdemonstranten (beide Mittwoch, den 14.2.): Dem einen Angeklagten wird die "Mitdemontage" eines ÖVP-Schildes an deren Zentrale am 21.9 zur Last gelegt - aufgrund neuen Entlastungsmaterials vertagt auf 26.3. Der andere wurde für die "Beschädigung eines Blitzlichtes" beim Marriott-Besuch bedingt verurteilt - noch nicht rechtskräftig.

AM RANDE

# Im Filmmuseum wurde unlängst ein Film von Leni Riefenstahl gezeigt. Bekannter Gast: Gottfried Küssel (sh. Handbuch des Rechtsextremismus) in Begleitung von zwei Burschenschaftern. Spontane Proteste halfen nichts, Proteste seitens des Filmmuseums fehlen.


Österreichs Holocaust-Industrie: VOEST, Steyr, Lenzing

Während das Buch des US-Politikwissenschafters Norman Finkelstein im englischen Original nur in einem kleinen US-Verlag erschienen ist und dort kaum Beachtung fand, stürzte sich unter den Nachkommen der NS-Täter-Innen gleich einer der größten Buchverlage, der als eher "links" geltende Piper-Verlag aus München auf das Buch Finkelsteins. Mit dem Erscheinen der deutschsprachigen Großauflage trat Finkelstein eine Vortragsreihe im Gebiet des ehemaligen "Deutschen Reiches" an, die ihn am Freitag, 9. Februar auch nach Wien führte, wo er im Amadeus im Kaufhaus Steffl einen Vortrag hielt. Vor einem Publikum, das zu zumindes 2/3 aus deutschnationalen Burschenschaftern, FPÖ-Aktivisten, darunter Peter Sichrovsky, und völkische BasisaktivistInnen bestand, gab Finkelstein seine holocaustrelativierenden Thesen und Phantasien einer "Holocaust-Industry" zum Besten. Finkelstein wärmte dabei wieder eines der klassischen Ressentiments des Antisemitismus auf, das des geldgierigen Juden, der selbst aus seinen toten Verwandten noch Geld mache. In einem Interview mit dem "Standard" hatte Finkelstein bereits im Vorfeld von einer "Bande von Krämern und Schwindlern, die das Gedenken der jüdischen Bevölkerung ausbeuten" gesprochen, die "bloßgestellt, zurückgewiesen und aus dem Verkehr gezogen" gehörten, denn so Finkelstein, diese seien "der Hauptgrund für den heutigen Antisemitismus." (der Standard 7.2.2001)

Die Jüdinnen und Juden seien also selbst schuld am Antisemitismus; allein der Grund, dass sie nach 1945 nicht stillschweigend zur Tagesordnung übergegangen sind, ist mittlerweile Grund genug, ihnen unendliche Perfidie, nicht enden wollende Rachsucht und ziellose Geldgier zu unterstellen. Als wäre es die Schuld der Jüdinnen und Juden, dass mehr als ein halbes Jahrhundert vergehen musste, bis Österreich und Deutschland per internationalem Druck gezwungen werden konnten, zumindest in Ansätzen Entschädigung für die geraubten Liegenschaften und Immobilien "symbolische Gesten der Entschädigung" zu leisten, wird ersteren vorgeworfen, sie könnten die Vergangenheit nicht ruhen lassen und würden permanent "schmutzige Ausbeutung des Andenkens" (SonntagsZeitung, 5.3.2000) betreiben, also noch aus den Ermordeten Profit schlagen: die Neuauflage des Ressentiments vom über Leichen gehenden, nur seinen persönlichen Vorteil im Auge habenden, geldgierigen Juden.

Wie die Rechte und die Mitte der Gesellschaft nach 1945 von einer Politik der Schuldabwehr und damit verknüpft einem "Antisemitismus wegen Auschwitz" umgetrieben wurde, so pflegte die Linke ihren Antizionismus und wollte mittels des Umwegs über Israel mit der Gemeinschaft der Täter ins Reine kommen. Finkelsteins fragwürdige Gedankenwelt ist eine präzise Synthese, die beiden Positionen zu ihrem Recht verhilft. Während er einerseits die Singularität der Vernichtung des europäischen Judentums gegen heutige Instrumentalisierung und Ausbeutung in Stellung bringt, scheut er andrerseits nicht davor zurück, ebendies selbst zu tun, wenn es seinen politischen Absichten entspricht. So trat er 1982 anläßlich einer Demonstration vor der israelischen Botschaft in Washington mit einem Plakat auf, welches die Aufschrift trug: "Dieser Sohn Überlebender des Aufstandes im Warschauer Ghetto und Auschwitz und Majdanek wird NICHT schweigen.Israel-Nazis - Stoppt den Holocaust im Libanon!!!" Damit betreibt Finkelstein selbst genau jene Indienstnahme der Massenvernichtung des europäischen Judentums, die er den Opfervertretern unterstellt.

Kein Wunder, daß diese Thesen vor allem auf große Begeisterung bei jenen stoßen, die schon lange darauf warten, daß endlich auch einmal ein Jude sagt, was sie sich schon lange denken. Und wenn eben sogar ein Jude so etwas sagt, dann muß ja was dran sein, denken sich jene, die einmal mehr einen Freispruch für die eigene Geschichte erwarten.

Die Fans Finkelsteins applaudierten auch dankbar bei jeder Stelle, wo dieser den Holocaust mit anderen "Verbrechen der Menschheit" gleichsetzte oder gegen Israel hetzte.

Die im Publikum versammelten "or-dentlichen Deutschen" sollte es dann auch sehr erregen, als das Baby eines jungen Vaters mitten im Vortrag zu schreien begann. Vater und Kind wurden von der Menge zum Verlassen des Saales aufgefordert und der Vater beschimpft er hätte sein Kind schlecht erzogen. Die Antwort des Vaters: "Mein Kind mag eben keine Antisemiten!"

Zu einer weiteren Störung des Finkelstein-Vortrags kam es wenig später als verschiedene AktivistInnen die gegen den Antisemitismus und die Holocaustverharmlosung Finkelsteins auftreten wollten, ein Transparent vor Finkelstein enthüllten auf dem zu lesen stand: "Österreichs Holocaust-Industry: VOEST, Steyr, Lenzing, Kaprun e.t.c." und Parolen wie "Gegen Antisemitismus und jede Verharmlosung des Antisemitismus" riefen. Das Publikum antwortete mit "Schimpfwörtern" wie "Donerstagsdemonstranten" "Widerstandskämpfer" oder "Das könnts nur noch maches solange der Haider noch net Bundeskanzler ist!" Sofort schritt die Polizei ein. Einer an der Aktion nicht beteiligte Person, die einen Beamten nach seiner Dienstnummer fragte wurde der Ausweis von einem der amtshandelnden Beamten weggenommen. Desweiteren wurde er aufgefordert, die Veranstaltung sofort zu verlassen. Er weigerte sich jedoch erfolgreich, den Polizisten folge zu leisten und erhielt seinen Ausweis zurück. Um etwaigen physischen Attaken aus dem Publikum zu entgehen, entschlossen sich die AktionistInnen, den Steffl schleunigst zu verlassen.

Auch vor dem Steffl zeigte sich die Zusammensetzung der Finkelstein-Fans, da ein Teil der Personen, die an der Veranstaltung teilnehmen wollten, wegen Überfüllung nicht eingelassen wurde. AktivistInnen, die Flugzettel gegen Finkelstein verteilten, wurden nicht nur von faschistischen Fans Finkelsteins beschimpft, sondern auch von vermeintlichen "Linken" von der Antiimperialistischen Koordination (AIK) und aus dem Umfeld der RKL. Ein palästinensischer Aktivist der AIK zu einem Flugblattverteiler: "Endlich spricht einmal wer diese wichtigen Fragen an. Das was die Israelis machen ist viel schlimmer als das was die Nazis gemacht haben."