18.01.2001

§248 / Abs 32

Widerstandswoche 51

Reformen in Sicht?
Während die ÖVP in Alpbach über eine "Demokratiereform" nachdenkt, denkt die Bundespolizeidirektion über eine "Polizeireform" nach: Der Wiener FPÖ-Landesparteisekretär Kreissl, der laut "News" das Büro von Bürgermeister Häupl verwanzen lassen wollte (Kreissl selbst bestreitet das), soll wegen der Anschuldigungen in "Spitzelaffäre" aus dem Polizeidienst entlassen werden.
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Bald Entscheidungen über Kreissl und Kabas?
Die FPÖ versucht Schadensbegrenzung in der Spitzelaffäre. FPÖ-Chefin Riess-Passer kritisierte im Zusammenhang mit dem Fall Kreissl die Justiz: Es sei für einen Rechtsstaat unzumutbar, daß die Gerichte die Entscheidung so lange hinauszögern. Justizminister Böhmdorfer hat laut "Format" eine andere Entscheidung bereits parteiintern mitgeteilt: Gegen Wiens FP-Chef Kabas wird Anklage erhoben. Böhmdorfer dementierte die "Format"-Meldung.
Hilmar Kabas ist am Mittwoch, 17. Jänner 2001 als Spitzenkandidat der FPÖ-Wien zurückgetreten.
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VwgH fordert Einhaltung rechtlicher Grundlagen bei Abschiebungen ein
Tatsächlich unzumutbar ist die Situation von Asylwerbern in Österreich. Der Verwaltungsgerichtshof stellt nun fest, daß Asylwerber künftig "uneingeschränkt und bedingungslos" weder zurück- noch abgeschoben werden dürfen, solange ihr Asylansuchen nicht entschieden ist. Sollte der VwgH dem Ansuchen aufschiebende Wirkung zuerkennen, gilt das Verbot auch für die Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Prominentes Beispiel der bisherigen Praxis: Marcus Omofuma wurde vor Ablauf seiner Frist für eine Höchstgerichtsbeschwerde abgeschoben und überlebte seine Abschiebung nicht.
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Weiterer Schlag gegen Zivildiener
Die Verwaltung des Zivildienstes wird privatisiert, kündigt Innenminister Strasser an. Nur Befreiungsfeststellungen sollen staatlich bleiben. Trägerorganisationen müssen sich bei Schwierigkeiten künftig an die neue Stelle wenden, der Staat ist aus der Verantwortung entlassen.
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Termine
Am Sonntag, 21. Jänner 2001 findet in der Kurhalle Oberlaa der FPÖ-Bundesparteitag statt. Um 9 Uhr früh beginnen Gegenveranstaltungen "Festival gegen Rechts" angemeldeter Kundgebungsort in der Nähe der Endstation Oberlaa der Linie 67.
Am Samstag, 3. Februar 2001 (ein Jahr nach der Regierungsangelobung) findet eine Großdemonstration in Wien statt. Route: Westbahnhof, ÖVP-Zentrale, Schubhäfen Landl und Rossauer Lände, FPÖ-Zentrale, ÖGB, Ballhausplatz.

Völkischer Heimatschutz

Einwände zu den Protesten gegen das AKW-Temelin

Während in Ober- und Niederösterreich ÖkoaktivistInnen, FPÖ-Funktionäre, Grüne, ÖVP-Bürgermeister und Mühlviertler Bauern die Grenzen blockieren, kommt kaum wer auf die Idee, die Menschen hinter der Grenze zu fragen, was sie von Aktionsformen halten, die erstmals seit der Öffnung des eisernen Vorhangs 1989 zur Schließung der Grenzen zwischen Österreich und Tschechien führten. Das mediale Sommerloch 2000 wurde von der österreichischen Regierungskoalition aus FPÖ und ÖVP benutzt, um auf zwei Ebenen gegen den EU-Beitritt Tschechiens vorzugehen. Zeitgleich wurden sowohl das Kernkraftwerk Temelin als auch die Benes-Dekrete als Hindernis für einen EU-Beitritt Österreichs nördlicher Nachbarn thematisiert. Die FPÖ, die sich ganz in der Tradition des Deutschnationalismus, schon jahrzehntelang den sogenannten "Volksdeutschen" verbunden sieht, machte die Gleichsetzung der "Heimatvertriebenen", der Sudetendeutschen, mit den Opfern des Nationalsozialismus seit ihrer Regierungsbeteiligung zur Chefsache. Die Forderung nach der Rücknahme der Benes-Dekrete, einer Sammlung von 143 Verordnungen im Gesetzesrang, die u. a. die Enteignung und Aussiedlung der Sudetendeutschen mit Ausnahme der AntifaschistInnen unter ihnen regelten, stellte seit dem Sommer ein Hauptthema der gesamten Regierung dar. Die FPÖ knüpfte die EU-Osterweiterung dezidiert an die Rücknahme der tschechischen Benes-Dekrete und der ähnlichlautenden AVNOJ-Beschlüsse des ehemaligen Jugoslawiens. In diesem medial aufbereiteten antitschechischen Klima begannen nun die Grenzblockaden der sich zur Oberösterreichischen Überparteilichen Plattform gegen Atomgefahr zusammengeschlossenen Bürgerinitiativen aus Oberösterreich. Mit überparteilich ist damit jedoch nicht etwa gemeint, daß sich diese Plattform gegen oder unabhängig von Parteien organisieren will sondern, daß sie eine alle Parteien umfassende eben über den Parteien stehende Plattform zu sein beabsichtigt. Das ganze grenznahe Volk sollte sich eben gemeinsam gegen die atomare Bedrohung von jenseits der Grenzen wehren. Unterstützung aller Art wird deshalb auch von allen Parteien die sie der Überparteilichen Plattform zukommen lassen gerne angenommen, komme sie von den Grünen, der ÖVP, der SPÖ oder eben der FPÖ. Da sich seit der gegen das AKW-Zwentendorf ausgegangenen Volksabstimmung, alle politischen Parteien gegen Atomkraftwerke wenden, ist es beim Thema AKWs kein Problem eine Einheitsfront herzustellen, die eben von ganz links bis ganz rechts reicht. Auch das hat Tradition. Die erwähnte Volksabstimmung über das einzige österreichische AKW unter der Regierung Kreisky wurde von einer Allianz aus völkischen HeimatschützerInnen, lebensschützerischen KatholikInnen, TrotzkistInnen, FPÖ, ÖVP und der "Neuen Kronenzeitung", die rund 40% der gesamten Druckauflage aller österreichischen Tageszeitungen stellt gewonnen. Beim zweiten großen Event der hiesigen Ökologiebewegung, aus dem schließlich auch die Grünen entstehen sollten, der erfolgreichen Besetzung der Hainburger Au viel zwar die, in der Zwischenzeit in eine Koalitionsregierung mit der SPÖ gewechselte, FPÖ wieder weg, mit dabei war diesmal dafür die Volkstreue Außerparlamentarische Opposition Gottfried Küssels, der später wegen NS-Wiederbetätigung auf juristischem Wege für einige Jahre aus dem Verkehr gezogen wurde. Damit soll nicht gesagt werden, daß die österreichische Umweltbewegung an sich rechts wäre. Berührungsängste mit rechten HeimatschützerInnen kennen aber nur wenige. So ist es auch kein Wunder, daß es sich auch Jörg Haider nicht nehmen ließ, den Grenzblockaden der lokalen Temelin-GegnerInnen aus Ober- und Niederösterreich durch einen medial begleiteten Besuch der Blockaden seine Solidarität auszudrücken. Der Freiheitliche Pressedienst jubelte am 10. Oktober: "Mit vereinten Kräften und im wahrsten Sinne an der Front 'Wullowitz' zeigten sich gestern Abend bis in die späten Nachtstunden die Freiheitlichen Oberösterreichs im Kampf gegen die für Montag geplante Inbetriebnahme des AKW Temelin." Die dermaßen Beglückten wehrten sich weder gegen den Besuch Haiders, noch gegen andere FPÖ-Politiker und FPÖ-Transparente vor Ort. Die FPÖ rühmt sich damit, bereits 1997 den EU-Beitritt Tschechiens von der Inbetriebnahme Temelins abhängig gemacht zu haben. Die Kritik einiger linksradikaler Anti-Atom und Ökogruppen aus Deutschland und Österreich an der Politik der OÖ Überparteilichen Plattform richtet sich aber nicht nur an den Besuch Jörg Haiders und die unkritische Annahme jeder Unterstützung, komme sie auch aus noch so rechtem Eck. Die Aktionsform der Grenzblockade an sich ist es, die Politiker wie Jörg Haider geradzu einlädt sich daran zu beteiligen. Wenn sich Protest gegen eine Technologie deren Folgen im Ernstfall keine Staatsgrenzen kennen ausgerechnet in der Blockade nationalstaatlicher Grenzen für Menschen die diese überwinden möchten äußert, zeigt dies nicht nur die Stupidität dieser Art von Proteste, sondern insbesondere den positiven Bezug zu einem auf die Nation und ihre Grenzen fixierten Heimatbegriff, der sich auch in den auf den Blockaden verwendeten Transparentsprüchen zeigt. Immer wieder geht es hier um den Schutz "unserer Dörfer", "unserer Kinder", "unserer Heimat", ... Anstatt sich gegen eine zerstörerische Technologie an sich zu wenden, soll so der eigene Heimatboden von einer aus dem Ausland kommenden Gefahr geschützt werden. Unkritische Unterstützung für solchen Heimatschutz kommt aber nicht nur von jenen, die eine solche Politik seit Jahren betreiben. Auch Oliver Korschil, der Umweltreferent im Grünen Parlamentsclub erklärte in einem Mail an die Ökologische Linke Wien mit den Grenzblockaden solidarisch: "Erst durch das persönliche Engagement tausender österreichischer BürgerInnen, die in einer Art 'Notwehraktion' wochenlang die Grenzübergänge zu Tschechien blockierten, ist die Bundesregierung praktisch 'fünf vor zwölf' aufgewacht." Korschil kritisiert die Bundesregierung etwa nicht für eine nationalistische Einschüchterungspolitik gegenüber den tschechischen Nachbarn, sondern dafür, daß sie den Trumpf der EU-Erweiterungsverhandlungen aus der Hand gegeben hätten. Korschil: "Schüssel hat für ein schwaches Verahandlungsergebnis auch einen guten Verhandlungstrumpf aus der Hand gegeben und die Aufhebung der Blockade des Energiekapitels in den Erweiterungsverhandlungen mit Tschechien zugesagt." Ganz anders hört sich hier ein offener Brief an den einige linksradikale Ökogruppen aus der Ex-DDR um ecodefense! Dresden an die Oberösterreichische Plattform richteten: "Grenzblockaden" so die KritikerInnen der Überparteilichen Plattform "sind Aktionsformen, bei denen mensch Bauchschmerzen haben kann." In der Folge wird massive Kritik an der Zusammenarbeit mit der FPÖ geübt und auf die Vorreiterrolle Österreichs bei der Abschottung Europas verwiesen. "Eine zentrale Forderung Anti-Atom-Bewegter ist noch immer die Forderung nach der sofortigen Stillegung aller Atomanlagen weltweit." Die Antwort auf die Kritik der linksradikalen Ökogruppen kam direkt von Josef Pühringer, dem Geschäftsführer der OÖ Überparteilichen Plattform gegen Atomgefahr: "Ich weise darauf hin, daß dieser Artikel eine Lüge ist, aus Zeitgründen mir aber eine ausführliche und detailierte Distanzierung/Richtigstellung dazu im Moment nicht möglich ist. Lügenverbreiter sollten nicht überbewertet werden durch besondere Beachtung ... Temelin zu verhindern ist mir im Moment wichtiger, als auch Denunziantenartikel wie diesen (ähnliches wird auch in Tschechien immer wieder verbreitet) egal aus welchem Eck einzugehen ... Sollten aber weitere Lügen dieser Art verbreitet werden, erlauben wir uns, dagegen gerichtlich vorzugehen", so Pühringer.

Ökologische Linke (ÖKOLI)


für diese Ausgabe verantwortlich:
Ökologische Linke und Zecken