22.06.2000

§248 / Abs 3

Widerstandswoche 21

Schlingensief droht Anklage wegen NS-Wiederbetätigung
Eine weitere Episode, die zwar skurril klingdie aber auf die sich entwickelnde Eigendynamik in den Apparaten von Justiz, und Polizei hinweist: Gegen Christoph Schlingensief wurde wegen der Möglichkeit des Verstoßes gegen das Verbotsgesetz ermittelt, weil er an dem Container ein Transparent mit der Augschrift "Unsere Ehre heißt Treue" anbrachte. Justizminister Böhmdorfcr ließ es sich nicht nehmen Zeitungsredaktionen davon höchstpersönlich in Kenntnis zu setzen. Gegen Ernest Windholz, den niederösterreichischen FP-Obmann, der mit dem SS-Motto für Furore sorgte und versichert hatte, es. noch nie zuvor gehört zu haben, ist übrigens kein Verfahren am Laufen.

Ermittlungen gegen ungebetene "Gäste" im Maffiott
"Der Presse" vom Dienstag zufolge soll gegen die DemonstrantInnen, die an der Störaktion der Tagung der Österreichischen Naiionalbank teilnahmen, Ermittlungen wegen Hausfriedensbruchs, versuchter Körperverletzung und Widerstands gegen die Staatsgewalt eingeleitet werden. Es wurden bei der im übrigen insofern erfolgreichen Aktion, als eine Rede des Finanzministers, gestört und eine des Bundeskanzlers verhindert wurde" zwar keine Identitäten festgestellt,aber die Polizei berichtet von vielen Photos,mit deren Hilfe dem Mangel abgeholfen werden soll.

Die SEK bei der Arbeit
Wie der Online Standard zu berichten weiß, erhebt nun auch die Schwester eines Zeugen des Einsatzes, bei dem SEK-Beamten den angeblichen Dealer Imre B. erschossen, schwere Vorwürfe gegen die Polizei. Laut ihrer Aussage wurde sie in der Nacht des Todesschusses von der Polizei festgenommen und verhört wobei sie aufs rassistischste und sexistischste beschimpft und auch geschlagen wurde. Sie geriet ins Fadenkreuz der Truppe, weil sie und ihr Freund sich in dem Sonnenstudio aufhielten, in dem das Cannabis vermutet wurde, nach dem die Drogenfalmder im Auto de Erschossenen vergeblich suchten. In SEK-Manier, also wie Dirty Harry in seinen besten Zeiten, wurde das Studio gestürmt und durchsucht, ohne daß ein Durchsuchungsbefehl, vorgelegt wurde. Gefunden, wurde nichts, dafür wurde das Studio verwüstet. Die unbescholtene Frau und ihr Freund wurden aufs Kommissanat Wattgasse gebracht, wo sie sich unter andrem Spräche wie "Hast a Zigeunerblut, daß du nicht aussagst?". anhören mußte. Weiters sollten noch Ohrfeigen und die Beamtshandlung des Gesichts mittels Fotomappelzu einer Aussage führen.

Aus für SEK?
Die Probezeit des neugeschaffenen Sondereinsatzkommandos läuft demnächst aus, aber ob die Polizeieinheit aufgelöst wird, st weiter fraglich. Am Montag wurde seitens der Polizeidirektion das Gerücht dementiert, es wäre wenigstens eine Ablöse Georg Rabensteiners, einem der Leiter der Truppe im Schwange. Der bei Amnesty International wegen rassistischer Übe'rgriffe aktenbekannte Mann wird deshalb weiter Jagd auf Dealer machen. Wie das weiter aussehen wird, ist klar: "Unser Gegenüber sind keine Chorknaben" plaudert ein anderer Leiter der SEK, Roland Frühwirth, aus der Schule um anzufügen, "Wir sind es auch nicht"

Das läßt Österreich kalt
Am Samstag spielte der "Barde" Frank Rennicke als Gast der~ rechtsextremen Burschenschaft "Olympia" in deren Bude in der Gumpendorferstraße auf, Der NPD-Funktionär machte mit; Albentiteln wie "Ich bin nicht modern Ich fühle deutsch" Karriere in einschlägigen Kreisen und ist dem deutschen Verfassungssehutz wohlbekannt. Die Gegendemonstration war, obwohl sogar im "Standard". angekündigt, sehr spärlich besucht. Nur etwa 60 AntifaschistInnen fanden sich vor der weiträumig von einem Polizeiaufgebot abgesperrten Bude ein und versuchten mittels einer Anlage und Musik den Barden in der Bude aus dem Takt zu bringen. Das wurde allerdings bald von zufällig und unparteiisch von der Polizei angekarrten Verwaltungsbeamten mit Lärmmeßgerät unterbunden.

Österreichs Feinde
Kurzzeitig wurde am Samstag der schon leerstehende Schlingensief-Container besetzt. Die Besetzerlnnen wiesen auf Flugblättern darauf hin, daß Schubhaft für viele Menschen bittere Realität sei und das von der österreichischen Bevölkerung Zustimmung finde. Der weitverbreitete Rassismus und Antisemitismus sei allerdings kein Wunder, denn eine speziell österreichische "postnationalsozialistische Intimität" schweiße das Kollektiv der TäterInnen zusammen, und sorge für die unerträgliche österreichische Norrnalität. Die Schlußfolgerung: "Der Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus darf sich deswegen nicht auf den rechten Rand beschränken, sondern muß das gesellschaftliche Fundament, die unerträgliche Normalität angreifen. Wer den Kampf gegen Haider im Namen der Demokratie, des Staates, der Nation oder des Volkes führt, ist schon mit ihm." Bei dem Versuch, den Container zu stürmen, wurde laut Standard ein Polizist, leicht verletzt, als er seinen Fuß in die Tür stellen wollte, die von innen zugedrückt wurde. Um eine weitere Eskalation zu verhindern, wurde nach dieser Episode die Besetzung aufgegeben. Die Polizei berichtete am Sonntag von 150 Autonomen", die die Polizei absichtlich in den Hinterhalt gelockt hätten.

Drogenpolitik tötet

"Keine Gnade für Drogendealer" plakatierte die FPÖ im letzten Wahlkampf in Wien. Dieses Wahlversprechen ist nun in den letzten Monaten der Regierungsbeteiligung der FPÖ eingelöst worden. Polizei und Justiz arbeiten rund um die Uhr um den "Mördem unserer Kinder" (Jörg Haider) keine Chance mehr zu lassen. Sie sollen daran gehindert werden unsere Kinder mit der mörderischen Drogensucht zu infizieren und haben damit als Parasiten am Volkskörper jegliches Recht auf Leben verloren. Die Repressionen gegen mutmaßliche Dealer, ein Objekt, auf das viele Wahnvorstellungen projiziert werden, erreichte schon unter einer SPÖ geführten Regierung mit der "Operation Spring" ein unerträgliches Maß und war auch schon rassistisch geprägt. Doch Mord stand damals noch nicht auf der Tagesordnung. Den Gefangenen der "Operation Spring" wird zur Zeit der Prozeß gemacht. Ohne Sachbeweise, nur auf Grund von Aussagen von anonymen Zeugen werden, die nach blühender Phantasie der Polizei Mitglieder des "nigerianischen Drogenkartells", zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Die Infamie, wie dabei sogar rechtsstaatliche Normen, in deren Sinne ja eigentlich die Repression gegen Verkäuferinnen von illegalen psychoaktiven Substanzen ist, übergangen werden, ist eigentlich durch fast nichts mehr zu überbieten.

Es sei denn, es ist Mord!

Am 3. Mai um vier Uhr früh wird der Asylsuchende Ibekwe R. aus Nigeria in der Justizanstalt für Jugendliche tot auf einem Sessel sitzend aufgefunden. Die erste Reaktion, der Behörden bestand darin schon vor der Obduktion davon auszugehen das Ibekwe an aufgeplatzten "Bodypacks" (verpackte Drogen, die normalerweise unverdaut wieder ausgeschieden werden) gestorben sei. Ungeklärt ist warum der laut ExpertInnetuneinung sofern die behauptete Todesursache stimmt langsame und qualvolle Tod von Ibekwe völlig unbemerkt blieb. Von Zeugen bestätigt hingegen sind die schweren Mißhandlungen, denen er während der Verhaftung und im Gefängnis ausgesetzt war. Davon wollen die für die Klärung der Todesursache zuständigen Pathologen bei der Obduktion allerdings keinerlei Spuren mehr gefunden haben.
Noch viel länger als die Tötung von Ibekwe konnte der mysterilöse Tod von Lubomir B. vertuscht werden. Eine ganze Woche hat es gedauert, bis bekannt wurde, daß der wegen Verdacht des "unerlaubten Aufenthalts" nach dem Fremdengesetz verhaftete Slowake am Morgen ,des 4. Mai tot in einer Zelle des Kommissariats Landstrasse aufgefunden wurde. Laut vorläufiger Obduktion hatte der Mann eine hohe Cannabis_Konzentration im Harn (ein Tod in Folge dieser ist aber unmöglich), sowie Spuren von Antidepressiva, Methadon und "anderen Suchtmitteln". erstaunlicherweise konnte der Amtsarzt nur sieben Stunden vor der Entdeckung der Leiche im Gespräch mit dem angeblich unter einer tödlichen Drogen_ Mixtur stehenden Lubomir keinerlei Beeinträchtigung feststellen und erklärte die Haftfähigkeit. Sowohl Ibekwe als auch Lubomir wurde jegliehe medizinische Hilfe verweigert.
Es scheint fast so, als ob die Exekutive ihre Pflichten zum Schutze der Volksgemeinschaft ernster nimmt als das Gesetz es tut. Besonders emst nahm siejener Beamter der am Abend des 19. Mai bei einer Drogenrazzia den unbewaffneten Imre B. erschoß. Laut Polizei Protokoll habe sich der Schuß "irrtümlich" gelöst, als Inire die Autotür aufstieß und dabei den Polizisten an der Schulter traf. Der Beifahrer Inires bestätigte glatt diese Version. Kein Wunder" wurde er doch ein paar Stunden später vom selben Polizisten dazu vernommen. Ballistikexperten stellten mittlerweile laut der Zeitschrift "Falter" fest, daß sich aus der Dienstwaffe kein Schuß irrtümlich lösen und der Einschußkanal mit dem geschilderten Tathergang nicht übereinstimmen könne'. Schließlich gibt es auch noch Zeugen, die den Vorfall ganz anders schildern. Für sich spricht daß diiser Einsatz von den stadtbekannten Polizeirambos des SEK, durchgeführt wurde. Die Praxis von Mitgliedern dieser Truppe, die schon oft rassistisch und überaus brutal war, stach sogar schon amnesty international ins Auge. Doch Konsequenzen für den Todesschützen wird es wahrscheinlich nicht geben, wie das in Österreich üblich ist. Auch die Öffentlichkeit interessierten mehr die, paar Kilo Haschisch die im Lokal gefunden wurden, aus dem Imre kurz vor seinem Tod kam. Das Volk wurde auf Mitleid mit dem Mörder eingeschworen, obwohl dieser es sicher nicht nötig hatte. (Er selbst verweigerte zuerst psychologische Betreuung bevor'er dazu verpflichtet wurde). Das Mitleid mit dem Opfer des Polizeiterrors blieb diesem als Ausländer und Drogendealer verweigertl

Dealerparanoia Anmerkungen zum tödlichen Wahn einer Gesellschaft

Nichts ist in der landläufigen Erkenntnis schlimmer als ein Drogendealer. Er sei skrupellos, geldgierig und verschlagen. Anfixen Aussaugen Liegenlassen, ist nach Ansicht des Mobs der geschäftliche Alltag eines Dealers. Er schüttet Ahnungslosen LSD in ihre Getränke, schenkt Kinder Drogen in Form von Zuckerin, um diese dann in Schulhöfen zu verkaufen. Er ist Teil einer weltumspannenden, mafiösen Organisation, die, da vorn Staat nicht in den Griff zu bekommen, das Übel dieserWelt ausmacht. Mit der Realität hat das freilich wenig zu tun, was den Wahrivorstellungen allerdings kein Ende bereitet~ Letztendlich zersetze der Dealer die harmonische Gesellschaft und bringt den Tod. Und genau den wünscht mensch ihm.

Die Kranken und ihr Teufelszeug

Das Bild des Dealers setzt sich aus zwei anderen Bildern zusammen: Einerseits wird die KonsumentInnen als Kranke verstanden, andererseits die Drogen dämonisiert. Während früher Drogenkonsum noch ein Verbrechen war, die KonsumentInnen Kriminelle, setzte sich seit den achtziger Jahren ein neues Bild durch. Krank seien alle UserInnen von illegalen Substanzen, unfähig ohne Drogen mit ihrer Umwelt umzugehen. Die Droge hätte sie schon so vereinnahmt, daß sie nicht mehr verantwortlich sind für das was sie tun. Den KonsumentInnen wird, indem mensch sie in Zwangstherapien oder Methadonprogramme steckt, jegliche subjektive Autonomie abgesprochen. Die Droge herrsche jetzt über ihren Verstand und das rechtfertigt eben Zwangsmaßnahmen. Doch den liberaleren Umgang mit sogenannten Drogensüchtigen und den Vorschlägen, konservativen HardlinerInnen unterscheidet nur, daß die KonsumentInnen vom Hardliner noch selbstbewußtes Handeln zugesprochen bekommen. Beide s ' ind sich darin einig, daß Drogen schädlich und moralisch verwerflich sind, beiden Ansichten liegt das selbe wahnhafte Weltbild zu Grunde. Die Allmacht der Drogen wird beschworen: Einmal genommen _ für immer süchtig. Daß solche Sprüche pure Ideologie der bürgerlichen Gesellschaft sind und nichts mit der Realität zu tun haben ist empirisch sehr schnell bewiesen. So ist es gar nicht schwer in Erfahrung zu bringen, daß die "Todesdroge" Heroin im Reinzustand und richfig dosiert dem menschlichen Organismus keinen, Schaden zufügt. Das Elend der Junkies rührt viel eher aus der Drogenpolitik, der Illegalisierung des Heroins. Durch die dadurch geschaffenen Bedingungen des Schwarzmarkts ist es rein nicht zu erwerben. Durch das Verbot steigt die, Anzahl der ZwischenhändlerInnen und damit der Preis der Droge enorm. Oft so hoch, daß einE Konsumentln zwischen alltäglichen Nützlichkeiten und erwünschten Rausch zu entscheiden hat. Nur wer genug Geld hat, kann dem Elend entgehen. Der "Drogentod" sucht all jene heim, die auf dem Schwarzmarkt einmal überraschenderweise zu gutes Zeug kaufen u
schädlichen Substanzen gestreckt ist. Der Grund für ihren Tod ist damit nicht das Heroin, sondern die folgen des staatlichen Banns. Doch auf die toten und verwahrlosten Opfer der Drogenpolitik läßt sich gut verweisen, um zu zeigen wohin es führt, wenn mensch dem Staat nicht gehorcht.
Ist die Droge einmal als Krankheit der Gesellschaft entlarvt, gibt es dieser Logik zu Folge einen Überträger: Den Dealer. Und auf genau diesen richtet sich jetzt der Haß. Daß der Dealer kein Mitglied des Volkskörpers, ist, ist jedem/r Durchschnittswahnsinnigen bekannt. Er kommt von außen, schleicht sich ein und zerstört das, was den Bürgerinnen am Herzen lieg Kann so ein Mensch Teil der eigenen Gemeinschaft sein?

Der Dealer ist fremd

Der Haß des österreichischen Mobs zielt explizit auf jene, die schon zuvor rassistisch stigmatisiert wurden. Jene, die nichts anderes tun, als ein Schnapsbrenner oder Kaffeehändler, närnlich mit Aussicht auf Gewinn eine bestimmte Funktion in der Zirkulation psychoaktiver Substanzen zu übernehmen, gilt als Intimfeind der bürgerlichen Gesellschaft und der österreichischen Volksgemeinschaft. Heutzutage ist es das "nigerianische Drogenkartell" das den anständigen Österreicherinnen das Leben zur Hölle mache. In den Opfern des letzten Monats vereinen sich zwei verachtenswerte Feindbilder. Sie sind Ausländer und Dealer, beides hängt im Verständnis des Volkes unmittelbar zusammen. Am wahnhaften Bild des Dealers hängt unweigerlich ein rassistisches. Der Zusammenhang stellt sich bei näherer Betrachtung über das öffentliche Bild von Drogen her. Ihre Fähigkeiten den Menschen Lust zu bereiten ist ihnen, unter kapitalistischen Zwängen lebend, ein Dorn im Auge. Schon der Hauch einer Möglichkeit unter dem individualitätsraubenden Diktat des Kapitals doch noch ein bißchen individuelles Glück zu erhaschen zieht den Haß des arbeitenden Mobs auf sich. Das Maß ist voll wenn der Genuß zum Selbstzweck wird. Das gilt als nieder und naturhaft. Dazu müsse mensch erst verführt werden. Wem die Rolle des Trägers des Natürlichen in diese Wahnvorstellung zukommt, muß sich der/die Bürgerin nicht neu ausdenken. Der Ausländer im allgemeinen, der Dunkelhäutige im Besonderen nimmt diese Rolle schon im rassistischen Stereotyp ein. So ist es auch nicht über raschend, mit welcher Massenbegeisterung da Bild des nigerianischen Dealers in die Wel gesetzt wurde und die Opfer der Dealerparanoi Ausländerinnen, zumeist Schwarze sind.
Solidarität mit den Opfern der Dealerparanoia!
Weg mit Repression und Drogenpolitikl Drogen für jeden der will!


für diese Ausgabe verantwortlich:
Bagru Politikwissenschaft + Fachschaft Informatik