09.11.2000

§248 / Abs 23

Widerstandswoche 41

SchwarzBlau

Spitzeleien, Skandälchen, ...
Während in der FP selbstverständlich niemand nichts gemacht haben will, sieht eine Mehrheit der Bevölkerung die Probleme bei der FP (FORMAT-Umfrage). Daß Böhmdorfers Kanzlei jetzt auch noch Spenden an seine Partei "gebunkert" haben soll, wird der FP wohl auch nicht helfen.
Mal sehen, wie lange das Sitzfleisch hält.
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In Hinkunft Gegen SPÖ/ÖVP?
Die VP habe mit der SP schon zu reden angefangen, meint jedenfalls deren Chef Gusenbauer. Die VP sieht dies nahezu "naturgemäß" nicht so. Während der FP die MinisterInnen abhanden kommen.
Wir werden ja sehen, was kommt.
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Femialismus
Zu Stark.Schwarz.Weiblich. (so heißt die VP-Frauen-Kampagne) kommt Lust.Macht.Mut. (so der Titel des VP-Frauenkongresses). "Linker Feminismus ist gescheitert", meinen die VP-Grandinnen, namentlich Frau Rauch-Kallat. In Hinkunft soll selbstverständlich Qualität (und nicht das männliche Geschlecht) bei der Postenvergabe entscheiden, meinte Herr Schüssel auf diesem Kongreß. (www.diestandard.at) Deswegen ist jetzt wohl auch ein Burschenschafter "Frauenminister".

Medien

Mediawatch-Ranking-Oktober
Mit einem Anteil von rund 75 Prozent an der gesamten inhaltlichen Präsenz der Parteien in der ZiB 1 lassen die Regierungsparteien ÖVP und FPÖ die Opposition im TV-Abseits stehen. Auch mit ihrem ZiB-Image kann die Koalition zufrieden sein: In den Hauptabend-ZiBs (ZiB 1 bis 3) dominieren mit über sechzig Prozent neutrale Aussagen über "die Regierung", trotz heftiger Reaktionen auf die Sparmaßnahmen liegt der Anteil der Negativ-Nennungen unter der Zwanzigprozentmarke. (www.derstandard.at)
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Publizistikförderung
Ein alljährliches Spiel fand auch dieses Jahr seine Fortsetzung. Eigentlich geschaffen, um die verfassungsmäßig garantierte "Meinungsfreiheit" quasi zu unterstützen, kommen einige in deren Genuß, andere nicht. Diesmal dezitiert aus politischen Gründen ausgeschlossen: Context XXI.

Schlechte Nachrichten, Fortsetzung

Richard Ibekwe beigesetzt
Angesichts der weiterhin aufrechten Weigerung der österreichischen Ministerien, die Überführung zu finanzieren, und angesichts des bisher sehr geringen Spendenaufkommens hat die Familie in Nigeria entschieden, nicht auf den Ablauf der von den österreichischen Behörden gesetzten Frist zu warten, sondern den Leichnam zur Bestattung in Österreich freizugeben.
Gestorben in einem österreichischen Gefängnis: zwischen 2. und 3. Mai 2000. Begraben am 31.10.
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Frauenzentrum sperrt zu
Vorarlbergs einziges Frauengesundheitszentrum f.a.m schließt wegen fehlender Geldmittel. Den verbliebenen (Frauen)Projekten Femail, Frauengetriebe und AmaZone steht das finanzielle Aus nicht weiter weg, will die dortige Landesregierung doch konsequent keine Rahmenverträge abschließen. Aktuelle Projektförderungen können allerdings auch unterm Jahr gestrichen werden. (www.diestandard.at)
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"Volksgebräuchlich"
Volksgebräuchliche Veranstaltungen brauchen keinerlei behördliche Genehmigung. Weswegen der alljährliche 1.November-Aufmarsch der Kameradschaft IV (ehemalige Kameraden in der Waffen-SS) zu Salzburg nichts dergleichen braucht. Eine Trauerkundgebung für "ermordete Salzburger JüdInnen, Sinti und Roma, Zwangsarbeiter, Euthanasieopfer, Kriegsdienstverweigerer und Personen des Widerstandes gegen die Nazis" zur selben Zeit am selben Ort, hingegen ist nicht "volksgebräuchlich", entsprechend per Bescheid verboten. (www.derstandard.at)
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Studiengebühren
... oder wie mensch StudentInnen verschaukelt. Ein Lehrstück.
Die Regierung gewährt eine Zinsstützung von zwei Prozent, manche Banken legen ein wenig dazu, StudentInnen aus "Entwicklungsländern plus ein paar andere" erhalten die Gebühren (vielleicht) zurück. Zahlen sollen alle.
Und Falter plus AG (entspricht ziemlich der VP) überbieten sich gegenseitig beim Niedermachen der inneruniversitären Opposition. So siehts aus.

Instanzen der Ohnmacht

Das neue Buch von Doron Rabinovici schildert die Situation der Wiener Juden unter nationalsozialistischer Herrschaft von 1938 bis 1945 mit akribisch zusammengetragenem Material und einer Fülle von Einzelbeispielen. Die verschiedenen jüdischen Institutionen werden dabei sofern sie nicht sofort mit dem Anschluß aufgelöst worden waren in ihren sehr unterschiedlichen Überlebensstrategien geschildert.
Klar herausgearbeitet wird auch, daß Wien der erste Ort war, "an dem die sogenannte 'Lösung der Judenfrage' in Angriff genommen wurde. Hier fand der 'Probelauf' statt." Und während im März 1938 von einem Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich gesprochen werden kann, so kann die folgende Entwicklung durchaus auch als Anschluß der deutschen an die ostmärkische "Judenpolitik" charakterisiert werden. Nirgendwo stieß diese nationalsozialistische "Judenpolitik" auf solche Begeisterung und so geringen Widerstand wie in Österreich und genau deshalb konnte hier ausprobiert werden, was in der Folge im gesamten Reichsgebiet umgesetzt werden sollte.
Doron Rabinovici schildert in diesem Zusammenhang auch jenen begeisterten österreichischen Antisemitismus, der bereits in der Nacht vor dem Einmarsch deutscher Truppen in Österreich zu ersten pogromartigen Ausschreitungen gegen Jüdinnen und Juden und zu solch einem Ausmaß "wilder" Arisierungen führte, daß sich vorerst sogar die neue NS-Staatsgewalt genötigt fühlte, dem wilden Treiben des antisemitischen Mobs entgegenzutreten. Die Pläne der Nationalsozialisten sahen nämlich eine geordnete, beinahe legalistisch anmutende "Lösung der Judenfrage" vor, die schließlich von einem Beamtenstab um den Wiener NS-Beamten Adolf Eichmann, dem Referat II-112 des Sicherheitsdienstes der SS koordiniert wurde.
Die von Adolf Eichmann in Wien eingeübte Politik der Vertreibung, die schließlich zu einer akribisch beamtenhaft durchgeführten industrielle Massenvernichtung mündete, wurde angesichts der "Erfolge" der Eichmann-Männer auf das gesamte Reichsgebiet ausgedehnt.
Diese Entwicklung und die aussichtslose Lage der jüdischen Institutionen, die in verzweifelten Versuchen einer taktischen Zusammenarbeit mit den Behörden versuchten, möglichst viele Menschen zu retten und dabei zu "Instanzen der Ohnmacht" wurden, wird in Rabinovicis Buch detailliert beschrieben.
Die Strategie der NS-Behörden, jüdische Institutionen um jüdische Menschen retten zu können zu zwingen, andere Jüdinnen und Juden selbst für den Abtransport in die Konzentrationslager selektieren zu müssen, ging schließlich nach 1945 erneut auf, als jüdische Kollaborateure, die unter ständiger Bedrohung ihres eigenen Lebens, dieses durch eine Zusammenarbeit mit den Nazis retten wollten, erneut wesentlich strenger bestraft wurden als die eigentlichen Täter, die sich oft auf "Befehlsnotstand" berufen konnten.

Doron Rabinovici:
Instanzen der Ohnmacht
Wien 1938-945, Der Weg zum Judenrat
Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag
Frankfurt am Main, 2000


für diese Ausgabe verantwortlich:
koordination (z) und Ökologische Linke