19.10.2000

§248 / Abs 20

Widerstandswoche 38

Neues von der Botschaft der Besorgten BürgerInnen: Nachdem die Burghauptmannschaft die Verhandlungen mit der Botschaft abgebrochen und angekündigt hatte, den Container am Ballhausplatz zwangsweise zu entfernen, schaltete sich nun das Militärkommando Wien ein: Das Militär wolle nicht in politische Auseinandersetzungen verwickelt werden. Zudem sollte keinesfalls der Anschein erweckt werden, daß eine militärische Parade zu Lasten des demokratischen Demonstrationsrechts ginge. Die Burghauptmannschaft verkündigte daraufhin einen "Waffenstillstand" mit der Botschaft bis zum 29. Oktober Ob sie danach die Verhandlungen wieder aufnimmt, ist ungewiß.
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Ferrero-Waldner sollte bei einer Konferenz mit dem Titel "Alle anders, alle gleich: Von der Theorie zur Praxis", die vom 11. 13. Oktober in Straßburg stattgefunden hat, eine Eröffnungsrede halten. Nachdem jedoch schon vor der Eröffnung eine Unterschriftenaktion gegen ihre Teilnahme stattgefunden hatte und sich die anwesenden NGOs auf eine Resolution geeinigt hatten, in der sie fremdenfeindliche Parteien kategorisch verurteilen und zum Boykott aller Parteien aufrufen, die mit solchen Parteien kooperieren, verließ der österreichische delegierte vom Dienst den Plenumssaal und Ferrero-Waldner sagte ihren Auftritt ab. Während einer Rede von Franz Morak (ebenfalls im Rahmen dieser Konferenz) hielten Leute aus dem Publikum rote Kartons mit der Aufschrift "No Coalition with Racism" in die Höhe.
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Noch einmal zur Erinnerung: Vom 26. 28. Oktober finden in Klagenfurt/Celovec internationale Widerstandstage unter dem Motto "Offenes Kärnten Offenes Europa" statt: Donnerstag, 26. und Freitag 27. Oktober 2000: Kongreß über Entwicklung in Österreich und die Entwicklung des Widerstandes, bzw. Rechtsextremismus in Europa. Samstag, 28. Oktober: ab 14 Uhr am Neuen Platz in Klagenfurt Internationale Kundgebung und Demonstration, Int. Kulturprogramm (bereits ab 11 Uhr: Aktionen am Neuen Platz). Infos: http://www.offeneskaernten.cjb.net/ Für aus Wien Anreisende sind Busse organisiert worden (am 28. hin und zurück) Anmeldung und Infos bei der Botschaft Besorgter BürgerInnen oder per E-Mail: demo_celovec@yahoo.com oder didi_zach@yahoo.de
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FrauenLesben-Kundgebung: Donnerstag, 19. Oktober 2000, 9 Uhr, Ministerium für Wirtschaft und Arbeit (1., Stubenring 1), 11 Uhr AMS-Zentrale (20., Treustraße 3543) unter dem Motto "Haltet die Diebe, wir werden beklaut!"
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Charles Ofoedu wurde wegen "Geldwäscherei" zu zehn Monaten bedingt verurteilt, bezüglich des Vorwurfs der falschen Zeugenaussage jedoch freigesprochen. Das Urteil hat die Konsequenz, daß die Aufenthaltsbewilligung von Charles Ofoedu nicht verlängert werden wird. Die Staatsanwältin hat außerdem bereits Berufung gegen das Urteil angekündigt.
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Niemals vergessen!

In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 brannten in Wien 42 Synagogen und jüdische Bethäuser, zahllose jüdische Geschäfte und Wohnungen wurden geplündert, zerstört und beschlagnahmt. 6547 Juden wurden festgenommen und 3700 davon in das Konzentrationslager Dachau verschickt.

In Wien lebten 1938 etwa 160.000 bis 180.000 Juden. Im übrigen Österreich etwa 20 000. Wien also war ihr Zentrum. Von März 1938, dem Anschluß an das Deutsche Reich, dem sich die Österreicher so gar nicht widersetzt hatten, im Gegenteil, bis zum März 1939 emigrierten rund 70.000 Juden. Rund ein Drittel. Die anderen kamen nach Theresienstadt. Und nach Auschwitz. Und in all die anderen Lager. In Wien überlebten, versteckt, 2000 Juden kein Ruhmesblatt für die Österreicher.
Am nächsten Tag wieder Absagen. Krankheit, Termine und überhaupt. Ich telefoniere lange mit Frau R., die ich schließlich überreden kann. Ich habe ein schlechtes Gewissen dabei, denn ich weiß, was es für die Menschen heißt, in all die schrecklichen Erinnerungen zurückzutauchen. Tränen, Alpträume, schlaflose Nächte. Aber sie zögert zu lange, will also überredet werden. Sie willigt ein, als ich ihr sage, sie hätte doch auch ihren ermordeten Eltern gegenüber die Verpflichtung, von Vertreibung und Deportation zu erzählen. Wenn nicht die Überlebenden davon erzählen, wer dann? Wir treffen uns am Aspang-Bahnhof. Sie ist eine schöne Frau: schmales, feines Gesicht. Sie spricht sehr leise. Ihre Tochter, sagt sie, dürfe nicht wissen, daß sie das mache. Und das Fernsehen aus Deutschland würde man in Österreich ja nicht empfangen, nicht wahr?

Frau R., könnten Sie mir sagen, wie es zu Ihrer Verhaftung kam? Wer hat Sie geholt, wann und wie war das?

Zwischen dem 9. und 12. Februar 1941 wurden wir von der israelitischen Kultusgemeinde benachrichtigt, daß wir einbezogen sind. Wir mußten uns zu einem bestimmten Termin mit 50 Kilo Reisegepäck in der Schule in der Sperlingsgasse einfinden.

Warum sind Sie da hingegangen? Was haben Sie gedacht?

Nicht viel in diesem Augenblick, weil ich noch jung war. Meine Eltern waren natürlich verzweifelt. Wir gingen praktisch ins Ungewisse. Wir konnten uns gar nicht denken, wo man uns eigentlich hinführt. Als wir von unserem Haus wegfuhren, habe ich schrecklich geweint, und eine sehr gute Freundin meiner Mutter hat mich getröstet und gesagt: "Schau, es wird nicht so arg werden. "
Es gab noch eine erfreuliche Begegnung mit einem Taxifahrer. Dieser Taxifahrer, ich habe das damals wunderbar von ihm gefunden, hat gesagt: "Also lassen Sie das Kind weinen, sie weiß ganz genau, was ihr mal bevorsteht. Sie soll sich ihr Herz erleichtern." Mit einer empörten Geste hat er über die Regierung geschimpft. Das war für uns eine Bestätigung, daß nicht alle Menschen so grausam sind. In der Schule waren SS-Leute, die uns in Empfang genommen haben. Darunter war auch Brunner, ein Österreicher. Ich glaube, wir waren zwei Tage dort. Dann ist ein Aufruf gekommen, daß die jüngeren Leute dieses Transports, wir waren 1200 in dieser Schule, die zurückkehrenden Waggons vom ersten Transport säubern sollten. Das war natürlich ein sehr ungewisser Abschied von meinen Eltern, weil wir ja nie wußten, ob wir uns jemals wiedersehen würden. Die haben uns einfach rausgenommen und in Lastwagen verladen und hierher zum Bahnhof gebracht. Die Waggons von dem Personenzug waren in einem fürchterlichen Zustand. Die haben wir dann, ich erinnere mich, bis zehn Uhr abends gesäubert. Wir haben nur gezittert, ob unsere Verwandten auch hierhergeführt würden, und knapp nach zehn sind die mit Lastwagen gekommen, darunter auch meine Eltern. So sind wir in die Waggons gestopft worden, und dann ist die Fahrt losgegangen.

Haben Sie dann gewußt, was geschehen würde?

Nein, wir haben nichts gewußt. Es war eine Fahrt ins Nichts. Wir wußten nicht, wohin, wir waren nur glücklich, daß wir alle drei zusammen waren. Die sanitären Verhältnisse in den Waggons waren katastrophal. Die haben uns dann einmal mitten auf der Strecke ausgeladen. Da durften wir das tun, was notwendig war. und dann wieder hinein, Alles war streng bewacht von deutscher SS. Dann sind wir in eine kleine polnische Stadt gekommen und in einer Schule interniert worden. Die dort lebenden Juden durften sich Leute, die bei ihnen wohnen konnten, rein sympathiemäßig aussuchen. Nach fünf Wochen ist dann ein Getto geschlossen worden. Da haben wir dann mit dreißig Leuten in einer Wohnung gewohnt. Wir waren 27.000 Leute. Von diesen 27.000 wurde ein Großteil in die Vernichtungslager geschickt. Ich weiß heute, daß meine Mutter nach Treblinka gekommen ist. Mein Vater durfte nicht mit, weil er einem militärischen Betrieb in Polen angehörte, und dadurch wurden sie getrennt. Natürlich war der Gedanke für mich ganz schrecklich, daß sie alleine gegangen ist. Wir haben immer noch Hoffnung gehabt, daß sie nicht direkt in den Tod geschickt wurde, aber es hat sich dann später bestätigt. Von dort sind wir dann nach Auschwitz gekommen. Da war ich ungefähr ein Jahr. Dann wurden wir nach Ravensbrück überstellt, und das war mehr oder weniger das Ende der Zeit.

Warum sind Sie nach Wien zurückgekehrt? Ist Ihnen das nicht schwergefallen?

Nein, ich hatte die Hoffnung, doch irgendwie einige meiner Leute wiederzufinden. Mein Mann ist im November zurückgekommen. Mein Vater hat noch bis zum 5. Februar 1945 gelebt, ist dann aber auf der Straße zusammengebrochen. Das habe ich von einem ehemaligen KZ-Kollegen erfahren.

Würden Sie heute noch sagen, Wien ist Ihre Heimat?

Doch, sie wird es immer für mich sein, denn die Stadt kann nichts dafür.
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Ich denke über den Taxifahrer nach, der gesagt hatte: "Lassen Sie das Kind weinen, es weiß genau, was ihm bevorsteht." Also wußte er es auch. Und hat sie doch zum Sammelplatz gefahren. Was er hätte tun sollen? Ich weiß es auch nicht. Auf keinen Fall einfach eine Taxitour absolvieren. Denn das war eine Fahrt in den Tod. Und er wußte das. Aber so hat das eben funktioniert, bei uns in Deutschland und in Österreich auch. Frau R. stehen die Tränen in den Augen. Ich nehme sie in den Arm. Wir weinen beide. Ich versuche sie zu trösten und sage ihr noch einmal, daß das alles trotzdem sein müsse: das Erzählen davon und darüber. Erst wenn wir nicht mehr von den Toten reden, sind sie wirklich tot.

Mahnwache und Kundgebung
Donnerstag, 9. November 2000 * 18 Uhr
Gedenkstein vor dem ehemaligen Aspangbahnhof
(1030 Wien, Platz der Opfer der Deportation)


für diese Ausgabe verantwortlich:
Revolutionsbräuhof (RBH)