21.09.2000

§248 / Abs 16

Widerstandswoche 34

Wiens Stadtschulrat Kurt Scholz sagt die Präsentation des Buches "Fremde unter Fremden? Lebenswelten von Wiener Hauptschülern" ab, weil der Schriftsteller Ofoedu daran teilnehmen wollte. Begründung: das gegen Ofoedu immer noch laufende Verfahren wegen Geldwäsche. Im Rahmen der "Operation Spring" war versucht worden, den Schriftsteller zum "Drogenboß" zu stilisieren was sich allerdings sogar vor österreichischen Gerichten als vollkommen unhaltbar erwies.
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1999 wurden aus den EU-Staaten und Norwegen 166.909 Menschen per Flugzeug abgeschoben. Infos unter: http://www.state watch.org/news
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Am Amt für Jugend und Familie des Bezirksmagistratsamt für den 3. Bezirk lagen ausschließlich Ausgaben der "NEUEN FREIEN ZEITUNG", "ZUR ZEIT" sowie Flugblätter in hoher Auflage, die in gotischer Schrift zum Vortrag "Der bundesdeutsche Verfassungsschutz" (Dr. Claus NORDBRUCH, Die Wilgers, Südafrika) einladen.
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Public netbase kann sich über den Prix Ars Electronica 2000 freuen, der ihnen als Anerkennung ihrer regierungskritischen Arbeit von den Preisträgern, der amerikanischen Künstlergruppe Applied Autonomy vermacht wurde. Für die selbe Arbeit gibt's allerdings Probleme nachdem der Bund fix zugesagte Subventionen gestrichen hat, verweigert die ÖVP in Wien nun jede Förderung und droht mit Koalitionskrach falls im Wiener Rathaus anderes beschlossen werden sollte.
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In St. Pölten kam es zu massiven Einschüchterungsversuchen von Seiten der Polizei gegenüber einem nigerianischen Staatsbürger, der bereits Opfer eines Übergriffs geworden war. Im Juli 1999 wurde R. A. von 6 Polizisten zusammengeschlagen und mit Pfefferspray brutal gequält. In erster Instanz wurde R. A. wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt zu acht Monaten bedingter Haft verurteilt. Nun erkannte R. A. bei einer Gegenüberstellung im Rahmen eines strafrechtlichen Verfahrens, daß sein Anwalt eingeleitet hatte, mindestens drei Beamte. Danach wurde R. A. auf offener Straße von Polizisten im Streifenwagen belästigt, seine Aufenthaltsgenehmigung wurde nur um ein Jahr verlängert, obwohl er an sich Anspruch auf eine unbefristete Genehmigung hätte. Die Antwort auf eine Beschwerde seiner Frau bei der Polizei lautete, R. A. sollte keine "Hirngespinste" pflegen, er werde schon nicht umgebracht werden.
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Grasser will mehr Schüler pro Lehrer und das heißt noch größere Klassen. Außerdem wird auf Kosten der Arbeitslosen das Budget saniert. Schmankerl am Rande: kostenlose Mitversicherung für Verheiratete soll in Zukunft auf Frauen mit Kindern eingeschränkt werden. Wer "nur" alte Menschen pflegt, hat Pech. Studiengebühren kommen: Bildung ist in Zukunft ein Privileg für Reiche. StudentInnen sollen S 5000, pro Semester ab 2001 bezahlen.
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Die ÖVP übt sich in Revisionismus: Ferrero-Waldner hat erklärt, daß "Hitler-Deutschland am 13. März 1938 Österreich militärisch überfallen und okkupiert hat." Und Punkt und Aus und mit "uns" hat das alles ohnehin nix zu tun.
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Schon fast langweilig: Klagen gegen regierungskritische Stimmen gibt's auch wieder. Einmal Böhmdorfer gegen die SPÖ wegen "übler Nachrede"; einmal Kabas gegen die Grünen wegen eines persiflierten Wahlplakates. Dort würde durch die Verwendung der Begriffe "Ehre & Treue" ein Zusammenhang zwischen FPÖ und Nationalsozialismus suggeriert dunkel dämmert's, daß genau dieser Zusammenhang von der FPÖ noch vor einigen Monaten heftig bestritten wurde.
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Wie zu erwarten war, hat die FPÖ nicht vor, im nächsten Wahlkampf vom bewährten Argumentationen abzurücken. Laut den Drohungen Westenthalers wird "das Ausländerthema" Top-Thema in Wien. in der Zwischenzeit begnügt man sich damit, die "pure Provokation" durch die SPÖ zu verurteilen. Die hat nämlich einen ersten noch nicht einmal zaghaften Schritt in Richtung Öffnung der Gemeindebauten auch für Nicht-Staatsbürger vorgeschlagen
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Der "Weisenbericht" ist in aller Munde. Er fiel aus wie vorherzusehen die Reaktionen waren allgemein euphorisch wie vorherzusehen. "Müßte ich erklären was 'Yin und Yang' ist, ich würde antworten: 'Lies den Weisenbericht über Österreich!'" (© Robert Menasse)
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In der Drogenpolitik verfolgt die Regierung unbeirrbar lächerliche Steinzeit-Konzepte. Als Beispiel dafür, daß "Repression wirkt" wird übrigens China gehandelt. (Ob wir uns schon mal auf öffentliche Erschießungen von echten und vermeintlichen "Drogen-Bossen" vorbereiten sollten?)
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Das UNHCR schlägt Alarm. Die Situation für AsylwerberInnen hat sich in Österreich in den letzten Monaten massiv verschlechtert. Nur rund ein Drittel wird in Bundesbetreuung aufgenommen, die anderen an private (und überlastete) Organisationen abgeschoben, viele landen auf der Straße. Ein faires Verfahren ist damit nicht mehr möglich. Nach wie vor werden auch Kinder und Jugendliche in Schubhaft genommen.
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Riess-Passer hält in einem Interview mit dem "Standard" die Rückkehr des einfachen Parteimitglieds an die Spitze der FPÖ für möglich.
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Haider tauchte uneingeladen bei einer Festveranstaltung in Triest auf und äußerte dort die Hoffnung, daß die italienischen Rechtsparteien die nächste Regierung bilden sollten.
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Die zensierte Drahdiwaberl-Nummer "Schulterschluß" gibt's als Download unter http://members.tripod.de/dumpsti/Schulterschluss.mp3
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Regierungmonitoring unter www.gruene.at
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Wer Tondokumente für eine private Widerstands-CD beisteuern kann: August, Tel. 0664/559 96 34


Alles in Ordnung in Österreich?

Die drei "Weisen" haben also gesprochen, die bilateralen Maßnahmen der EU-14 aufgehoben. Österreich bewegt sich im Rahmen der europäischen "Werte", nur die FPÖ ist böse (der Bericht stellt ihr eigentlich gar kein gutes Zeugnis aus), vor allem der Justizminister Böhmdorfer.
Das stimmt zum Teil, aber was heißt das eigentlich, für Österreich, und welches Licht wirft dies auf Europa? Dazu sollte zunächst gleich einiges klargestellt werden: die Maßnahmen der EU-14 folgten nicht wegen einer möglichen rassistischen oder gar faschistischen Politik ÖVP/FPÖ-Regierung in Österreich, sondern weil eine solche Konstellation einen Tabubruch in der Nachkriegsgeschichte darstellt.

Vor allem in Österreich.

Dazu ist noch etwas klarzustellen: Österreich ist nicht, wie so gerne behauptet wird, Opfer der Nazis, sondern an deren Verbrechen überdurchschnittlich mitbeteiligt gewesen. Wenn die österreichische Außenministerin meint, Österreich war Opfer, weil die Nazis den Austrofaschisten Dollfuss ermordet haben, ist das kein Freispruch im historischen Sinne. In Österreich ist nichts in Ordnung. Die europäischen "Werte" sind höchstens geeignet, Spuren zu verwischen.

Stichwort Asylpolitik

Es stimmt, wenn behauptet wird, Österreich hebe sich nicht sonderlich von anderen EU-Staaten ab, was restriktive Asylpolitik betrifft. Und es hat auch Todesfälle bei Abschiebungen in ganz Europa gegeben. Bloß, wir haben immer darauf hingewiesen, wie menschenverachtend eine solche Politik ist, und deswegen immer die EU hart angegriffen. Was aber in Österreich anders ist, ist der Umgang damit. Wenn gegen die Ermordung des Nigerianers Marcus Omofuma durch österreichische Beamten während seiner Abschiebung protestiert wird, kommt das Konstrukt vom afrikanischen Drogendealer (lanciert vom damaligen SPÖ-Innenministerium unter Karl Schlögl, der Polizei, der Kronen Zeitung und, wem sonst, der FPÖ) daher. Und es wandern dafür über 100 Menschen in den Knast, werden in Schauprozessen abgeurteilt. Und weil dieses Konstrukt so gut funktioniert, wählen die Leute die FPÖ. Weil die macht gleich Nägel mit Köpfen.
Es stimmt zwar, daß all das schon von den Vorgängern der FPÖ praktiziert wurde, und dass die FPÖ dies nicht sonderlich forciert hat, ABER: Die Todesfälle im Zusammenhang mit (mutmaßlichen) Drogendelikten im Polizeigewahrsam oder bei Amtshandlungen haben seit der Regierungsbildung zugenommen. Ebenso wie die Stimmung in der Bevölkerung noch rassistischer, autoritärer geworden ist. Auch in der Justiz.

Apropos Justiz:

Wie richtig festgestellt wurde, hat seit der FPÖ-Regierungsbeteiligung eine wahre Verurteilungswelle gegen FPÖ-GegnerInnen stattgefunden. Das liegt vielleicht einerseits an vorauseilendem Gehorsam, aber vielmehr daran, dass der Justizapparat schon lange von deutschnationalen Burschenschaftern durchsetzt ist (die aus demselben Lager wie Teile der FPÖ kommen), die nun ihrer Überzeugung freien Lauf lassen.

Und die ÖVP?

Genaugenommen ist sie eine Partei, die aus dem Lager des Austrofaschismus hervorgegangen ist. Das soll keinesfalls verkürzt heißen, die ÖVP sei faschistisch, aber mit einem "rechtspopulistischen" Regierungspartner "mit extremistischer Ausdrucksweise" läßt es sich nun mal autoritärer leben. Und genau diese Strömung hat in der ÖVP nun die Oberhand, auch antisemitische Kommentare zur ZwangsarbeiterInnendebatte sind dann aus diesen Kreisen zu vernehmen.

Es brechen die Dämme

Nun wird eine Regierungsbeteiligung der FPÖ als normal angesehen, ÖVP-Funktionäre können sich über jüdische Menschen auslassen, SPÖ-Politiker (z. B. der ehemalige Innenminister Schlögl) können darüber räsonieren, ob nicht das Verhältnis zur FPÖ geändert werden sollte. Und was kommt noch? Die FPÖ verfestigt ihre Machtstrukturen in Österreich.
Die extreme Rechte hat, im Gegensatz zur Linken, den Marsch durch die Institutionen erfolgreich angetreten.

Wir gratulieren

Rückwirkend gesehen, haben die "Sanktionen" zweierlei bewirkt. Einerseits konnte die Regierung Maßnahmen (soziale Verschärfungen, Grundrechtsabbau, ...) umsetzen, die sie sonst wahrscheinlich wesentlich schwerer durchgebracht hätte, wären sie nicht im Nebel der Sanktionen untergegangen. Andererseits haben genau diese Sanktionen aber auch ärgere Repression verhindert.
Ach, Europa!
Wenn all das den europäischen "Werten" entspricht, ist es wohl mit Europa nicht weit her (was wir ohnehin nicht geglaubt haben), oder wie in der Israelischen Tageszeitung "Haaretz" richtig bemerkt wurde, dann "ist Europa Haider."
Wenn Europa heißt: Ausländer raus! Nieder mit der Opposition, ... können wir nur sagen:

NEIN ZUR EU! JA ZU SANKTIONEN!

Rosa Antifa Wien


für diese Ausgabe verantwortlich:
Grün-Alternative Jugend Wien + Rosa Antifa Wien