04.11.2004

Niemals vergessen! - Gedenkkundgebung zum Novemberpogrom

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Gedenkkundgebung zum Novemberpogrom

9. November 1938
Niemals vergessen!

09.11.04, 19 Uhr
Kleine Sperlgasse 2a / 1020 Wien
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Während des Novemberpogroms 1938 wurden in Wien 27 Jüdinnen und Juden ermordet, 4000 Wohnungen und Geschäfte sowie 42 Synagogen vom antisemitischen Mob zerstört. Mit einem Rundgang (Kleine Sperlgasse - Malzgasse - Förstergasse - Schiffamtsgasse - Große Schiffgasse - Kl. Sperlgasse) wollen wir aufzeigen, wie flächendeckend die antisemitischen Ausschreitungen und Arisierungen in Wien stattfanden. Mit Beiträgen und Textauszügen zum Novemberpogrom, vorgetragen vom 1. Wiener Lesetheater. Wir wollen euch jedoch bitten, Gegenstände wie Transparente, Fahnen, Megaphone etc. zuhause zu lassen. Das Gedenken an die Opfer des 9. November soll nämlich weder "Democharakter" haben, noch eine Art "Lichtermeer"-Trauermarsch sein, da ein inhaltsleeres, mystifizierendes Gedenken die Umstände, die diesen Wahnsinn ermöglicht haben, nicht anspricht und ähnliche Umstände, die weiterexistierten, nicht aufgreift.

Im folgenden der Aufruf:

9. November 1938 Niemals vergessen!

Zum 66. Mal jährt sich am 9. November jener Pogrom, der im 3. Reich die Verfolgung jüdischer Menschen eskalieren ließ. Gab es schon zuvor Diskriminierungen durch die "Nürnberger Rassengesetze" und antisemitische Ausschreitungen, sollte der Novemberpogrom (von den Nazis als "Reichskristallnacht" bezeichnet) die Deutschen und ÖsterreicherInnen auf die Ausrottung des europäischen JüdInnentums einschwören und gleichzeitig der Naziführung ein Stimmungsbild verschaffen. Sie wurden nicht enttäuscht. Nachdem der 17-jährige Hershel Grynszpan den deutschen Botschaftsrat in Paris getötet hatte (aus Rache, weil seine Eltern aus Deutschland ausgewiesen wurden und im deutsch-polnischen Niemandsland wie viele tausend JüdInnen herumirrten), sah die Nazispitze die Chance gegeben, im ganzen Land die Bevölkerung gegen jüdische Menschen zu mobilisieren. Und an jenem 9. November 1938 kam es zur "Reichskristallnacht" (weil sich in der Nacht das Licht in den zerbrochenen Fensterscheiben jüdischer Geschäfte widerspiegelte). Nicht bloß organisierte SA-Banden führten den Pogrom durch, nein, die Bevölkerung mischte tatkräftig mit. Plünderungen, Demütigungen und Morde wurden in jener Nacht vom Mob verübt. Teilweise ging das den Machthabern insofern zu weit, als sie befürchteten, dass Werte zerstört und verloren gingen. Allein in Österreich wurden in jener Nacht 27 JüdInnen ermordet, 88 schwer verletzt, mehr als 6.500 festgenommen, 42 Synagogen wurden in Wien zerstört, mehr als 4.000 Wohnungen und Geschäfte verwüstet und 2.000 Wohnungen zwangsgeräumt. Die Wiener Bevölkerung trieb es soweit, dass selbst die Gestapo Mühe hatte, den Mob unter Kontrolle zu bringen. Für die Nazis war es ein Erfolg: nun waren sie sich der Unterstützung der Bevölkerung sicher. Was danach kam, ist bekannt: Einsatzkommandos, Vernichtungslager, sechs Millionen ermordete Jüdinnen und Juden. Und alles mit Präzision und Gewissenlosigkeit. Am 8. Mai 1945 wurde diesem Treiben durch die Alliierten Streitkräfte ein Ende gesetzt.

TäterInnen

Und nicht etwa durch ÖsterreicherInnen oder Deutsche. Die überwältigende Mehrheit hat den Holocaust und den Raubkrieg unterstützt oder toleriert. Viele profitierten davon, und zeigten kein Interesse daran, den Wahnsinn von sich aus zu beenden. Von sich auf andere schließend, ist die Vergeltung von Gleichem mit Gleichem erwartet worden. Die Alliierten mussten nach der Befreiung feststellen, dass von Reue keine Spur war, eher depressive Gleichgültigkeit und Angst vor Vergeltung. Allein die sowjetische Bevölkerung hatte durch den deutschen Vernichtungskrieg einen Blutzoll von 25 Millionen Toten bezahlt. Die unfassbaren Opferzahlen selbst interessierten hier aber niemand. Zwecks Wiederaufbau wurde die deutsche Volksgemeinschaft durch die österreichische Volksgemeinschaft ersetzt und beim vielen Zupacken wollte sich hier niemand mit der gerade verflossenen Nazizeit beschäftigen. Die Entnazifizierung wurde bald beendet, viele TäterInnen und MitläuferInnen kamen ungeschoren davon, und besetzten wieder politische Ämter und behördliche Funktionen. Selbst im Kabinett Kreisky fanden sich noch drei ehemalige NSDAP-Mitglieder. Und davon gab es nach 1945 so viele, dass SPÖ und ÖVP sich nicht genierten, um ihre Stimmen zu buhlen. Die VorgängerInnen-partei der FPÖ, der Verband der Unabhängigen (VdU), war ohnehin Sammelbecken derer, denen Jörg Haider noch 1995 eine ordentliche Gesinnung attestierte.

Auswirkungen

Und so konnte es geschehen, dass ein Kurt Waldheim WEGEN seiner SA-Vergangenheit Bundespräsident wurde, dass ein Jörg Haider mit Nazikoketterie die FPÖ an 28% heranführen konnte, dass antisemitische Aussagen von PolitikerInnen, die zu ernsthaften Konsequenzen führen müssten, hier noch augenzwinkernd akzeptiert werden. Die Israelitische Kultusgemeinde wird ausgehungert, und geschichtsrevisionistische Einrichtungen wie das Haus der Heimat mit Geld überhäuft. Und machen wir uns nichts vor: auch wenn die FPÖ am Boden liegt, die Motive, mit denen sie gewählt wurde sind immer noch im gleichen Ausmaß vorhanden: Antisemitismus, Rassismus, Sexismus, Homophobie, DenunziantInnentum und Autoritätshörigkeit. All diese in Österreich tief verwurzelten Eigenschaften machten auch den 9. November 1938 möglich. Diese Kundgebung will ein Anstoß dazu sein, diesen Zuständen entschieden entgegenzutreten - in jeder Situation.

In diesem Sinne:
Niemals vergessen!
Österreichische Zustände bekämpfen!

Initiative Niemals Vergessen

Der Aufruf wird unterstützt von:

Bund sozialdemokratischer Juden - AVODA, Grünalternative Jugend Wien (GAJ),Grundrisse, Rosa Antifa Wien (RAW), TATblatt